Ansichten eines Informatikers

Bundesministerin: Internet-Nutzung nur noch mit Fingerabdruck

Hadmut
10.9.2009 18:55

Eine Aussage unserer Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in der TAZ:

(Eigentlich ging es um die Piratenpartei)

Die technische Entwicklung geht mit Rasanz voran, wer weiß, ob wir nicht in fünf Jahren eine neue Generation des Internets haben. Vielleicht hat dann jeder Mensch eine individuelle IP-Adresse, die so unverwechselbar ist wie seine Telefonnummer? Was hieße das denn für die Anonymität des Netzes? Aber von solchen Entwicklungen wissen viele Piraten offenbar gar nichts – jedenfalls diskutieren sie nicht darüber.

Was heißt das?

Nun, wenn sich das Internet so entwickelte, hätten wir zum Beispiel viele Probleme bei der Verfolgung von Straftaten im Internet nicht mehr, weil die IP-Adresse wie ein Fingerabdruck zum Aufspüren von Kriminellen genutzt werden könnte. Wahrscheinlich gefällt das den Piraten nicht. Aber man muss sich doch trotzdem der Diskussion und den Problemen stellen und dabei Konzepte für die Zukunft entwickeln.

Neue Generation des Internet. Soso. Daß das mit den dynamisch zugewiesenen IP-Adressen in der Entwicklung des Internet erst später mit PPP und DHCP eingeführt wurden und es vorher nur fest zugewiesene IP-Adressen gab, scheint sich in der Bundesregierung nicht herumgesprochen zu haben. Das hat man ursprünglich nicht zur Anonymisierung, sondern wegen Adressknappheit und zur Vereinfachung der Verwaltung eingeführt. Wegen der Adressknappheit arbeitet man ja seit 10 Jahren an IPv6. Zumal man bei allen Arten von PPP-Einwahlen (DSL, Modem, ISDN, UMTS,…) ohne weiteres auf dem Radius-Server auch statische Adressen zuweisen kann (wenn man genügend hat). Und ob man bei IPv6 noch dynamisch oder statisch zuweist, wird schon länger diskutiert. Da muß man nichts neues erfinden, schon gar keine neue Generation von Internet.

Gut, jetzt kann man von Leuten, die sich nicht hauptberuflich und als Informatiker mit dem Internet befassen, nicht erwarten, solche Details zu wissen. Aber dann in Unkenntnis solche Sprüche zu klopfen und ausgerechnet die Piratenpartei (die eine ziemlich hohe Dichte an Informatikern aufweist) darüber belehren zu wollen, wie eine „künftige Generation des Internet“ aussehen könnte, und dann auch noch in dieser Überheblichkeit zu sagen, daß „viele Piraten davon offenbar gar nichts wüßten“, das ist schon ziemlich daneben. Wenn man schon nicht Bescheid weiß, dann sollte man das merken und sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Da ist der Versuch, zum Wahlkampf ein “Wir sind so gut in Internet und die Piraten sind so schlecht und ahnungslos” zu platzieren, aber ziemlich in die Hose gegangen.

Die fragwürdige Aussage der Ministerin läßt aber zweierlei erkennen:

  • Das Thema der festen IP-Adresse wird in der Politik offenbar diskutiert und läuft auf Abschaffung der Löschung in der Vorratsdatenspeicherung hinaus.
  • Allzuviele Leute mit Internet-Wissen scheinen an der Diskussion nicht beteiligt zu sein.

Die Zuweisung statischer IP-Adressen an Privathaushalte dürfte neue Kriminalitäts- und Mobbing-Formen hervorbringen. Ich freue mich jetzt schon drauf, wenn man auf jeder Webseite gleich mit Namen begrüßt (oder je nach Schufa-Auskunft gleich mit Fehlermeldung abgewiesen bzw. auf die Billig-Angebote umgeleitet) wird und die Datenhändler genaue Webzugriffsprofile für jede Person ins Angebot aufnehmen. Die bauen da Datenschutzprobleme, die sie nicht in den Griff bekommen. Aber ne große Klappe und sich als kompetent hinstellen…

6 Kommentare (RSS-Feed)

yasar
10.9.2009 19:31
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Was mir an dem Interview aufgesto0en ist, daß die Dame nur “Internet” bei den Piraten sieht und das Thema Grundrechte und Grundgesetz, das ein wesentlich Thema dieser Diskussion ist übersieht. Naja, was will man auch von Parteien halten, die (sinngemäßt) sagen: “Was schert mich das Grundgsetz, wenn ich meinen Willen bekomme.”


cypher
10.9.2009 21:17
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Das eigentlich gefaehrliche ist ja das solche leute solchen scheinbar eindeutgen zuweisungen vertrauen wuerden. Statische IP-Adressen zu verteilen heißt ja eben nicht das sie nich aenderbar sind. Welche IP-Adresse im Paket drinsteht bestimmt ja nunmal der Absender.

Aehnlich wie sie den digitalen Merkmalen auf Ausweisdokumenten Vertrauen schenken und gar nicht verstehen wollen, dass das eben viel einfacher zu faelschen ist als bisherige deutsche Dokumente.


Hadmut, es geht nicht um IPV6, es geht um den maschinenlesbaren Personalausweis. Die von unserer Regierung angestrebte Sicherheitsarchitektur für das Internet will weg von Paketen hin zu Personen, und diese sollen mit dem maschinenlesbaren Personalausweis mit Netzwerkaktivitäten verknüpfbar werden.


Hadmut
10.9.2009 23:22
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Naja, es zielte ja erkennbar auf die Vergabe dynamischer IP-Adressen und die Probleme mit der Vorratsdatenspeicherung ab. Ich glaube nicht, daß die den Personalausweis meinen (und selbst wenn, läuft es trotzdem auf eindeutige ID hinaus).

Egal, ob die nun IPv6 oder Personalausweis meinen (oder nichts von beidem und glauben, sie hätten eine geniale neue Idee gehabt, weshalb die vermutlich auch darauf rumhackt, daß die Piraten das noch nicht wüßten) es liefe darauf hinaus, daß man jeden Zugriff durch eine eindeutige ID unterlegt.

Einen ähnlichen Vorschlag habe ich sogar mal selbst gemacht, in meinem 2007-Vortrag in London für die ENISA. Nur habe ich damals vorgeschlagen, daß man doppelte IP-Adressen vergibt, “normale” IPv6-Adressen und dann nochmal Europa-Intern aus einem neuen IPv6-Netz statische und rechtsstabile Adressen, aber das ganze eben auf freiwilliger Basis.


Stefan
11.9.2009 1:15
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“auf freiwilliger Basis” läuft dann oft genug darauf hinaus, daß man mit der Masse mitmachen muß, um irgendwo dabei zu sein, sonst ist man draußen – freiwillig.


Nicht das fehlende technische Wissen ist derzeit das Hauptproblem bei den Politikern sondern der Verlust des vielbeschworenen gesunden Menschenverstandes. Bei jedem Thema vermißt man grundlegende Prinzipien der Demokratie und die Achtung von Menschen- und Grundrechten. Sie blenden aus, daß solche Aktionen Reaktionen hervorbringen. Sie merken nicht, daß sie dabei sind, zu überziehen. Sie merken nicht, daß man einen konsistenten Rechtsraum braucht und daß Speziallösungen “für des Internet” Unfug sind.

Weitere Repressionen werden nur zu einer weiteren Aufspaltung des Netzes führen, zum Abtauchen von Teilen des Netzes. Ein freies, allgemein erreichbares offenes Netz, ein unzensiertes Forum, wird es nicht mehr geben. Das heißt noch lange nicht, daß es keine weltweite Kommunikation mehr geben wird. Man provoziert den Aufbau von Netzen im Netz.

Die Entwicklung der IT geht auch ohne Internet sowieso schon in Richtung Turmbau zu Babel. Eines Tages werden wir nicht mehr wissen, wieviele Netze im Netz existieren.

Es wird Zeit, daß kompetentere Leute in die Parlamente einziehen, auch wenn diese nicht vorgeben, für jedes Problem eine Lösung zu haben.

Die jetzige Politik wird dafür sorgen, daß sich das www zum Werbe-, Proleten- und Bürokratennetz entwickelt und anspruchsvollere Leute Alternativen benutzen — bis Deppen und Juristen in diese einziehen.

Freiwilligkeit in rechtssicherem Netz ist keine Lösung. Freiwilligkeit wird irgendwann zum Zwang.

Carsten

Wir mußten uns freiwillig melden.