Ansichten eines Informatikers

Der Trend geht zur Selbstüberwachung

Hadmut
2.1.2009 13:58

Kulturelle Veränderungen im Datenschutz zeigen sich immer wieder.

War das nicht mal vor 20 Jahren so, daß die Volkszählung als Untergang des Abendlandes angesehen wurde? Die mit der Internet-Technik aufgewachsene jüngere Generation hat dagegen kaum Hemmungen, alles mögliche über sich selbst in irgendwelche Sozio-Webseiten einzutragen, in Blogs zu klimpern und auf sonstige Weise datenbankzugänglich zu machen.

Ein neuer Trend zeichnet sich dabei ab:

Mobiltelefone mit GPS werden immer billiger, immer mehr Geräte haben so einen Chip drin. Alternative Methoden der Standortbestimmung, beispielsweise über die Abfrage der GSM-Zellenkoordinaten oder über die empfangbaren WLAN-Accesspoints, kommen dazu. Und schon kommt es zum zwangsläufigen und unvermeidbaren nächsten Schritt, daß Leute kontinuierlich ihren Standort publizieren, beispielsweise durch Loopt, was die als “Social Compass” euphemisieren.

Wenn ich das richtig verstanden habe, sieht man dann – wie in Harry Potters Marauder’s Map – wo die Leute gerade rumlaufen. Schrecklich.

Mir fallen dazu gleich ganz neue Aspekte ein:

  • Das Finanzamt könnte Zugriff darauf verlangen um zu sehen, ob man sich an einem Ort wirklich dienstlich aufhielt, oder doch mal einen Abstecher in die Einkaufspassage oder zu Touristenattraktionen gemacht hat, womit die Reise nicht mehr als beruflich bedingt steuerlich absetzbar wäre.
  • Ähnlich wie bei Telekommunikationsdaten dürfte sich der Staat für solche Bewegungsdaten interessieren, was er ja bisher über die Mobilfunkortung schon tut. Jetzt aber viel genauer. Man macht sich zunehmend verdächtig, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort war.
  • Es ergeben sich ganz neue Geschäftsmodelle für Hacker und Datensammler: Endlich kann man zuverlässig und im großen Maßstab feststellen, welche Leute gerade hinreichend weit weg von zuhause sind, damit man in aller Ruhe bei ihnen einbrechen kann.
  • Auch für die zunehmende Mobberei und Erpressung auf den Schulhöfen ergeben sich endlich mal neue Perspektiven. So gibt es kein Verstecken mehr, wenn die bösen Jungs immer sofort wissen, wo man sich gerade aufhält.
  • Nachdem wir ja bisher schon mit Kontext-abhängiger Werbung überschüttet werden, ergeben sich nun noch mehr Möglichkeiten. Sie sind heute vormittag vor dem Schaufenster des Kaufhauses X stehengelieben und haben sich den roten Mantel angesehen. Die Mantel bekommen Sie 20% billiger beim Versand Y. Außerdem haben Kunden, die diesen roten Mantel gekauft haben, auch die blaue Hose und den grünen Hut gekauft. Ach ja, und wissen Ihre Frau und Ihre Kollegen schon, daß Sie regelmäßig vor dem Schaufenster des Sado-Maso-Ladens stehen und zweimal im Monat für ne Stunde bei der Domina sind? Außerdem haben wir festgestellt, daß Sie sich generell zu wenig zu Fuß bewegen, und zu viel Auto fahren. Wir möchten Ihnen unseren Sondertarif im Fitness-Studio Z anbieten. Oder: Wir wissen, daß Sie gerne schnell und sportlich fahren und sich an Orten aufhalten, an denen reiche Leute verkehren. Dürfen wir Ihnen den Prospekt für unseren neuen Sportwagen…
  • Wie, sie wollen von uns einen Kredit? Tut uns leid, aber unsere Datenbank sagt, daß Sie Ihr Essen von der Suppenküche bekommen und deshalb nicht solvent sind.

Und so weiter…

4 Kommentare (RSS-Feed)

Kosta_
2.1.2009 14:49
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Auf der positiven Seite gibt es aber Ansaetze, in einen “privacy-mode” gehen zu koennen, der innerhalb einer gewissen Entfernung zum echten Signal ein “plausibles” falsches Signal uebermittelt (etwa anhand bekannter Bewegungsmuster der Vergangenheit). Damit der Domina-Besuch wie ein Einkaufsbummel aussieht.


yasar
3.1.2009 16:57
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Solange andere das freiwillig tun könnte man ja noch sagen, es bleibt jedem selbst überlassen, wie weit er sich in der Öffentlichkeit “auszieht”.

das große Problem sehe ich dann kommen, wenn man sich eben an diesem Strip-Tease nicht beteiligt und sich damit verdächtig macht, bzw. unter Generalverdacht stellt. So ähnlich wie bei den “freiwilligen” DNA-Kontrollen aller Männer im gesamten Ort. Sobald man nicht mitmacht, kommt dann die Polizei und man muß dann weitreichendere erkennungsdienstliche Maßnahmen erdulden, ganz abgesehen, von eventuellem “soziallen Druck” aus der Umwelt, dem man dann ausgesetzt ist, obwohl man nur von seinem Grundrecht gebraucht macht, in diesem Fall “Nein” zu sagen. Nicht umsonst gehen viele der Täter wider besseres Wissen zu einem Massen-DNA-Test.

Folge:

Es sind keine Daten vorhanden, daß sie täglich zwischen Arbeitsstelle udn Wohnung gependelt sind -> Keine Pauschalen.

Arbeitgeber sagt: Dienstreise hat 10 statt 8 Stunden gedauert und man hat kein Bewegungsprofil, das belegt, daß man 2 Stunden im Stau gestanden hat (man hätte ihn ja auch dank TMC umfahren und die 2 Stunden für den Abstecher zu der Domina benutzen können)=> Werden nur 8 Stunden aArbeitszeit angerechnet. Und das sind IMHO die “harmlosen” Auswirkungen.


yasar
3.1.2009 17:19
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yasar
4.1.2009 11:25
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Noch ein Nachtrag: Mir ist eingefallen, daß in Berlin letztens ein getötetes Baby in einer Babyklappe abgelegt wurde, wo sie den Verdacht haben, daß einer der Krankenhausangestellten damit verwandt sein könnte. Da haben Sie auch einen freiwilligen DNA-Test angeordnet. Und da wurde auch rumgemault, daß 80 Frauen der Aufforderung noch nicht nachkamen. (Link habe ich gerade nicht parat, aber google müßte da helfen können).