Ansichten eines Informatikers

Über die Fernseh-Titten-Rezession

Hadmut
1.1.2009 15:18

Überlegungen zur Veränderung der Gesellschaft die man in dieser Form öffentlich auch nur an Neujahr anstellen kann. Aus einem gerade geführten herablassenden Gespräch über das Fernsehprogramm.

Vor ein paar Jahren war es noch selbstverständlich, daß ARD oder ZDF an Sylvester so ab 0.30 oder ähnliches irgendwas erotisches zeigten, irgendwas oberflächlich tittenlastiges, beispielsweise was aus dem Crazy Horse in Paris. Gibt es seit einigen Jahren aber nicht mehr.

Legendär in der Anfangszeit von RTL war Tutti Frutti, die komische Sendung, in der sich zur besten Sendezeit ohne erkennbaren Anlaß, ohne verständliche Spielregeln und kaum ohne Rahmenhandlung einfach ein Stunde lang jede Menge Frauen und als Alibi ein Mann bis auf die Büx auszogen und mit dem Hntern wackelten. Und das in vielen Folgen über einen längeren Zeitraum, ohne daß sich da wesentliche Änderungen ergaben. Das war eine Zeit, in der Titten alleine reichten, um Fernsehprogramm zu machen.

Und auch in den Siebzigern war das eigentlich normal. Da gab es Musikshows (war das die “Plattenküche”?), in denen es normal war, barbusige Gogo-Girls rumhüpfen zu haben. Es gab die Himmlischen Töchter und Klimbim, und manche andere Comedy mit gelegentlichen Brust-Einlagen.

Alles weg. Gibt’s nicht mehr. Aber warum?

Sicherlich wirken die Darbietungen von damals heute albern. Um nicht zu sagen doof. Die Zeiten, in denen man Fernsehunterhaltung machen konnte, indem irgendein Blondchen die Bluse aufmacht wie den Fensterladen und es dabei beläßt, debil in die Kamera zu grinsen und zu warten, daß irgendwas passiert, sind längst vorbei. Auch die “normalen” alten Fernsehserien der 70er bis 90er Jahre wirken heute gähnend dämlich und langweilig. Serien, die ich früher liebend gerne gesehen habe, bringen mich heute zum Einschlafen. Durch ständige Action und teure High-Tech-Produktionen sind die Ansprüche und Reizschwellen inzwischen gegenüber der “Frühzeit des Farb- und Privatfernsehens” erheblich verschoben. Man kann nicht mehr wie bei Tutti Frutti eine Stunde Unterhaltung allein mit Titten bestreiten, der Neuigkeitswert ist viel zu niedrig.

Dabei sind solche Veränderungen auch bei anderen Sendeformaten interessant zu beobachten. Wenn man beispielsweise eine Nachrichtensendung oder ein Sportstudio von vor 20 Jahren sieht, dann wirkt die für heutige Verhältnisse unglaublich dröge. Da sitzt einer an einem Schreibtisch vor einer Sperrholzwand, hat zwei Mikrofone, liest Nachrichten vom Papier ab. Ab und zu mal ein Schwarzweißbild, oder eine auf Pappe zusammengeklebte und abgefilmte Landkarte, und das war’s. So waren damals die Sendungen. Ein Olympia-Sportstudio hatte damals auch nicht mehr als eine Ecke, in der man ein paar simple Symbol-Würfel oder Phantasiegegenstände und ein Stehpult als Kulisse hinstellte, und einen Sportler hereinkommen und ein paar Worte sagen ließ. Fertig. Mehr war nicht.

Interessant auch, wenn man von früher die alten Musikauftritte in “Disco” bei Ilja Richter ansieht. Heute nacht nach 1 Uhr kam da nämlich auf irgendeinem Sender richtig gute fetzige Musik aus den 70ern, so richtig Gute-Laune-Zeugs für die Sylvester-Nacht. Les Humphries mit Mama Loo, Abba und andere Musik-Größen. Auch das im Vergleich zu heute verblüffend unspektakulär. Kein Riesen-Bahnhof wie heute. Ein wirklich kleines Studio mit ein paar Zuschauersitzplätzen, in der Mitte (!) eine Bühne von einem halben Meter Höhe und 3 bis 8 qm, auf die eine Musikgruppe sich gerade so quetschen konnte ohne ins Publikum zu fallen. Und dann kamen da eben ganz normale Leute rein, stellten sich auf dieses Podest und machten Musik (übrigens besser als heute). Ohne jede Choreographie, kaum Schminke und Maske, keine Hintergrundtänzer, und Mikrofone mit langen, langen Kabeln, die man in der Hand halten oder sogar während des Gesangs noch über die Zuschauer heben mußte.

Früher war Fernsehen auch billiger. Was viele nicht wissen: Die vielen Sex-Programme (und auch Tutti Frutti) aus der Anfangszeit des Privatfernsehen waren Billigfernsehen. Sex-Programme gehören mit zu den mit Abstand am billigsten zu produzierenden Inhalten, und mehr konnten sich die Sender damals nicht leisten. Tutti Frutti war eigentlich ein Abfallprodukt, weil die Sendung eigentlich für das italienische Fernsehen produziert wurde. Weil die Kulissen aber sowieso standen und alles eingerichtet aber nicht ausgelastet war, haben die einfach zum Billig-Preis noch für andere Länder mitproduziert. Man hat da im wesentlichen Hugo Egon Balder, und zwei oder drei deutsche Tänzerinnen und zwei Kandidaten nach Italien gefahren, mehr war da nicht (ich hab mal vor über 10 Jahren bei einem Fotoworkshop die Erdbeere getroffen, die ein bischen was darüber erzählt hat). Die meisten, die da auf dem Bildschirm zu sehen sind, konnten überhaupt kein Deutsch. Das Budget war so niedrig, daß nicht einmal einfache Anpassungen an den Studiokulissen vorgenommen wurden. In Deutschland wunderte man sich, warum es für jede Antwort so aberwitzig viele “Länderpunkte” gab und man davon gar nichts hatte. Warum bekommt jemand für eine richtige Antwort nicht einen, sondern 10.000 Länderpunkte und warum ist es völlig egal, wieviel Punkte er hat, weil sowieso nichts draus wird? Ganz einfach: Im italienischen Original gab es Geld für die Teilnehmer. Und zwar Lire. Deshalb standen auf deren Tafeln so große Zahlen, das waren Lire-Geldbeträge. Man wollte aber für die deutsche Produktion nicht einmal neue Tafeln anfertigen, also nahm man die italienischen und erfand die “Länderpunkte”. Das war einfach Billigst-Unterhaltung.

So viel anders ist das heute auch nicht, nur geht es da heute nicht mehr um Titten, sondern um eklige Viecher. “Ich bin ein Star, holt mich hier raus” ist nach genau demselben Schema produziert – was ja demnächst wieder anfängt. Eine australische Firma hat dieses Camp eingerichtet und mit Kameras verdübelt, das ganze drumherum organisiert, für die Viecher gesorgt, und all die seltsamen Foltergeräte gebaut. Und sogar den Arzt gestellt. Und da schicken nun die Fernsehsender der Welt reihum ihre Moderatoren hin um die immer gleiche Sendung in der immer gleichen Kulisse in unterschiedlichen Sprachen zu produzieren. Nur mit den zwei Unterschieden, daß man nicht mehr hübsche junge No-Name-Mädels, sondern abgetakelte Ex-Promis hinschickt (die inflationsbereinigt wohl auch nicht viel mehr kosten) und statt Titten zu zeigen Krokodil-Penisse und Känguru-Hoden frißt. Die Bandbreite ist bei Gruselzeugs eben höher als bei Titten, womit ein höherer “gefühlter” Neuigkeitswert vorgegaukelt werden kann.

Und ansonsten werden reihenweise schlechte Soaps, Streitsendungen und Gerichtsshows mit Laiendarstellern produziert, ebenfalls billig. Wenn es noch halbwegs nennenswerte Werbeeinnahmen gibt, die wenigstens dieses Pseudotheater finanzieren. Die nächste Stufe ist dann die Dauerwerbesendung, wenn die Werbung nur noch sich selbst trägt und keine Show mehr nebenbei. Denn über die Fixkosten hinaus entstehen durch das Senden zu den Nebenzeiten zunächst keine wirklichen Kosten. Irgendwelche alten schlechten Spielfilme einzukaufen würde schon Gebühren kosten, fällt also flach. Und wie früher einfach abzuschalten und ein Testbild zu senden, geht heute auch nicht mehr. Also verhökert man lieber zum Dumping-Preis an irgendwelche Versender, die mit absurden, lächerlich synchronisierten amerikanischen Werbesendungen Küchenmesser verkaufen.

Manche Sender, deren Namen man kaum kennt, und die in der Fernsehzeitschrift erst auf der dritten Doppelseite oder gar nicht erwähnt werden, senden dann nachts noch Sexfilmchen – das billigste, was noch zu haben ist, und immerhin noch von einem Werbemarkt der Telefonsex-Anbieter finanziert.

Und wenn die Werbeeinnahmen so niedrig sind, daß es selbst dafür nicht mehr reicht, oder die Werbeeinnahmen bei Null sind, weil kein Mensch mehr auf die Idee kommt, dem soundsovielten drittklassigen Sender nachts um 1 Werbung zu zahlen, muß es eben noch extremer gehen. Noch billiger als Sex-Programme sind diese Quiz-Sendungen, wo dann irgendeine dilettantische Pseudo-Moderatorin vor der Kamera steht, bescheuerte Rätsel aufgibt und dann 10 bis 20 Minuten lang herumgurkt, warum denn keiner anruft und sich seine 100 Euro Prämie abholt, bis endlich x.000 Anrufe eingegangen sind – auf teuren Service-Telefonnummern. Da werden die Sendekosten unmittelbar durch die Zuschauer gedeckt oder überstiegen.

Mit der Wirtschaftskrise gehen aber auch die Fernsehwerbeeinnahmen massiv zurück.

Daher dürfte das Fernsehprogramm 2009 vermutlich qualitativ (noch) schlechter werden. Eben billiger.

Stellt sich trotzdem – oder gerade deshalb – die Frage, warum Titten aus den Haupt-Programmen verschwunden sind. Sind sie heute so omnipräsent, daß man niemanden mehr dafür interessieren kann? Vor Jahren, besonders in der DDR, war FKK-Baden sehr häufig üblich. Das ist massiv wieder zurückgegangen. Man hält sich wieder bedeckt.

Ist unsere Gesellschaft wieder prüder geworden? Nimmt der Einfluß der Religionen zu?

Oder war es eine Reizüberflutung? Ist der heutige Fernsehzuschauer in den letzten Jahren mit soviel Titten berieselt worden, daß er darauf nicht mehr reagiert? Oder können überhaupt nackte Menschen mangels Schwankungsbreite den nach ständiger Neuigkeit gierenden Zuschauer nicht mehr motivieren?

Eine simple Änderung des Zeitgeistes?

Mal sehen, was das Fernsehjahr 2009 bringt.

Nachtrag:
Ich bin nicht der einzige, der sich zum Jahreswechsel Gedanken über das Fernsehprogramm macht:

  1. SPIEGEL: Happy Birthday, Quotenhechler
  2. FAZ: Die 10 größten Fernsehirrtümer