Ansichten eines Informatikers

Schönes Zitat über die menschliche Natur

Hadmut
8.11.2009 12:38

Es gibt so eine Kategorie von Zitaten, die einem sofort „passen”, weil irgendjemand in kurze klare Worte packt, was einem schon länger so irgendwie unterschwellig durch den Kopf ging, sich aber noch nie zu einer gefestigten verbalen Aussage konsolidiert hat. Das ist so eines.

Im Blog Internet-Law gibt es einen Artikel über einen Vorgang in den USA, wo man Straftäter einfach öffentlich an den Pranger gestellt hat. Nein, nicht wie sonst im Internet, wo man auf Webseiten die Liste der einsitzenden Straftäter, der Kinderschänder usw. mitsamt Fahndungsfoto einsehen kann. Sondern so richtig, wie im Mittelalter, mußten stundenlang vor dem Gericht sitzen mit einem Schild „Ich habe einem Kind sein Geburtstagsgeschenk gestohlen”. (Oder genauer gesagt mußten nicht, sondern hatten die Wahl zwischen Pranger und Gefängnis.) Fehlen nur noch die Halsgeige und daß der Pöbel antritt um die Täter mit faulen Tomaten zu bewerfen.

Andererseits, einem Kind das Geburtstagsgeschenk zu klauen ist ja nun auch wirklich verwerflich und verachtenswert.

Bemerkenswert ist aber, daß wir immer öfter wieder Zustände wie im Mittelalter haben. In den USA kommen die mittelalterlichen Strafen wieder in Mode, bei uns hier die Korruption und das Lehns- und Vasallenwesen, manche religiös extremen Länder halten sowieso massiv am Mittelalter fest, was Bildung, Technik, Gesellschaftsform, Umgangsformen angeht (warum ausgerechnet Mittelalter, warum nicht Steinzeit?), und wenn ich mir die Formen und Programme der Unterhaltung so ansehe, komme ich mir sowieso wie im Mittelalter oder sogar im alten Rom vor – Brot und Spiele im Circus Maximus, übertragen in Full-HD.

Und da zitiert der Autor von Internet-Law nun aus dem Roman corpus delicti von Juli Zeh:

„Das Mittelalter ist keine Epoche sondern der Name der menschlichen Natur.”

Yup. Ich glaube, genau das ist das Problem und die Ursache vieler Übel. Das erklärt, wie es in unserer Gesellschaft, in der Wirtschaft, in den Universitäten, in den Köpfen zugeht.

Wenn ich mir noch die Verlagsbeschreibung anschaue, bekomme ich glatt Lust, das Buch zu lesen. Wenn ich nur wüßte, wo ich die Zeit hernehmen soll…

Ein Kommentar (RSS-Feed)

Steffen
10.11.2009 13:24
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Und das ganze könnte sogar noch treffender sein als man auf den ersten Blick meint.

So langsam setzt sich in der ernsthaften Forschung die Meinung durch, daß das Mittelalter auch nicht wesentlich finsterer oder blutrünstiger war als andere Epochen. Interessanterweise fanden die großen Hexenverfolgungen und die anderen Religionsexzesse- und verbrechen (Ablasshandel, Bartholomäusnacht, 30-jähriger Krieg usw.) in der frühen Neuzeit statt. Der Mythos vom “finsteren Mittelalter” wurde nun genau in der frühen Neuzeit geboren. Höchstwahrscheinlich, um von der eigenen Grausamkeit abzulenken.

Also auch ein zentraler Aspekt der menschlichen Natur. Selbst übelsten Dreck am Stecken haben, aber mit dem Finger auf andere zeigen “die sind ja noch viiiielll schlimmer!!!” und damit seine Hände in Unschuld waschen.