Ansichten eines Informatikers

“Es gibt keinen Gott” – in Deutschland nicht gestattet

Hadmut
8.4.2009 0:07

Gerade anlässlich einer Fernsehdiskussion ist mir wieder ein Ärgernis ins Bewußtsein gekommen.

Kürzlich gab es in verschiedenen größeren Städten weltweit Aktionen, in denen man Werbetafeln auf Stadtbusse geklebt hat, auf denen sinngemäß “Es gibt (wahrscheinlich) keinen Gott – entspannt Euch und genießt das Leben” stand.

Auch in Deutschland wollte man das machen, fand aber keine einzige Stadt, deren Verkehrsbetriebe dies als Werbeauftrag angenommen hätte. In Deutschland kam es also nicht dazu. Meines Erachtens ein geistig-intellektuelles Armutszeugnis. Und zwar unabhängig von der Frage, ob man nun gerade glaubt oder nicht.

Ich glaube nämlich nicht. Und zwar glaube ich nicht, daß die Leute gerade in Deutschland religiöser wären als in anderen Ländern. Pseudoreligöser vielleicht, so die Sorte Mensch, die das ganze Jahr sonntags nicht in die Kirche geht, aber dann zu Weihnachten den jährlichen Gesellschaftsbesuch in der Kirche machen, selbstverständlich in der Kirche heiraten und natürlich vom Pfarrer beerdigt werden will. Und ansonsten auf “seine” Religion pfeift. Das ist nicht Glaube, das ist Heuchelei.

Und dann kommt die in Deutschland besonders hohe latente gesellschaftliche Korruption hinzu, so diese vielen horizontalen Einflußnahmen unter der Grasnabe, bei denen man immer auf alle möglichen Interessen achten muß, weil man ja sonst bei irgendwem in Ungnade fallen könnte, der seine Interessen wieder knallhart durchsetzt.

Das ist ein schwerwiegendes Mentalitätsproblem der Deutschen. Gegen alles gibt es irgendwelche Interessen und Interessengruppen, auf die man selbstverständlich rundum jeweils Rücksicht zu nehmen hat. Kirchenglocken werden als selbstverständlich angenommen. Kirchen können einen Höllenlärm veranstalten. Ich habe mal in Karlsruhe unbedachterweise eine Wohnung neben einer katholischen Kirche genommen, deren Architekt sich wohl eher auf Luftschutzbunker spezialisiert hatte. Die haben einen Lärm gemacht, das war nicht zum Aushalten. Vor allem Sonntag morgens. Von wegen Feiertag heiligen – Lärmterror war das. Wenn abends deren Glocke ging, konnte ich die Fernsehnachrichten nur bei voll aufgedrehter Lautstärke voll verstehen – und nicht mal dann richtig. Fenster auflassen ging gar nicht, das tat richtig in den Ohren weh. Beschwerden bei der Stadt Karlsruhe waren völlig zweck- und erfolglos. Ich habe mir mal erlaubt, da sonntag morgens hinzugehen und mal den Chef da (im grauen Anzug, war entweder der Pfarrer noch in Zivil oder irgendwer von der Gemeinde) darauf anzusprechen, daß ich die Glocken ziemlich laut finde und ich mich gesundheitlich beeinträchtigt fühle, ob man das nicht abdämpfen oder verkürzen könnte. Erste Reaktion von denen: Die haben mich als Nazi beschimpft, weil die Nazis ja auch schon gegen die Kirche gewesen wären. Also sei jeder, der Einwände gegen ihren Kirchenbetrieb hätte, gleich ein Nazi. Ich habe dazu klargestellt, daß ich nicht gegen deren Kirche, sondern deren Glockenlärm bin, und daß die Glocken meines Wissens kein christliches, sondern ein heidnisch-weltliches Relikt sind, einerseits um böse Geister zu vertreiben, was einem Christen wohl nicht gut stünde, und zweitens um die Uhrzeit kundzutun, was spätestens seit Einführung der erschwinglichen Quarz-Armbanduhr und des Radioweckers obsolet sei.

Da wurden sie richtig böse und ausfällig. Selbstverständlich bräuchten sie die Glocken für ihren Gottesdienst, das sei notwendig. Außerdem sei dies kein Lärm, sondern – genaue Formulierung weiß ich nicht mehr – süßer Gesang oder sowas in der Art. Och, meinte ich, nach meinen Beobachtungen könnte da ja nicht sein, denn mir sei aufgefallen, daß sie immer nur vor und nach dem Gottesdienst läuten würden, aber nicht während des Gottesdienstes, der Glockenklang als nicht nur nicht nötig sein könnte, sondern auch von ihnen selbst als störend empfunden würde. Ich bat sie, doch zum Beweis der spirituellen Notwendigkeit die Glocken einfach mal während ihres Gottesdienstes durchläuten zu lassen, der “süße Gesang” würde sich doch sicherlich gut zur Predigt machen, wenn er so wertvoll sei. Falls sie sie noch verstehen könnten. Da bin ich dann rausgeflogen. Während ihrer eigenen Verrichtungen können sie ihren Krach nicht brauchen, da wollen sie Ruhe, aber anderen muten sie den Lärm zu. Eine nicht nur spirituelle Umweltverschmutzung. (Und ja, ich kenne den “Glockensong” von Fredl Fesl über den “frommen Gotteslärm”. Der sieht das offenbar so ähnlich wie ich. 🙂 )

Auffällig war außerdem, daß da nur eine Handvoll Leute kamen, und das in einem sehr, sehr dicht bewohnten Stadtteil. Mehr als etwa 20, 30 Leute habe ich an diesem Morgen dort nicht gesehen. Die haben ihre Kirche nicht ansatzweise vollgekriegt. (Vielleicht würden ja mehr Leute kommen, wenn es nicht in einer Umgebung um die Kirche in den Ohren weh tun würde, und wenn da nicht Leute predigen würden, die alle andersdenkenden gleich als Nazi bezeichnen würden. Ich habe mir damals übrigens verkniffen auf die Rolle der katholischen Kirche … Ihr wißt schon. Die habens gerade nötig.)

Die Quintessenz war, daß – jedenfalls in Karlsruhe – in einem Stadtteil mit mehreren tausend Anwohnern eine lächerliche aber aggressive und fordernde Minderheit von vielleicht 30 Kirchgängern am Sonntagmorgen zur besten Ausschlafenszeit einen Höllenlärm veranstalten darf, der sogar gesundheitsschädlich ist, und es keine Gegenwehr gibt, nur die Flucht durch Umzug.

Die Gegenmeinung aber auf ein paar Stadtbusse zu kleben und damit eigentlich niemanden unmittelbar zu tangieren ist in Deutschland nicht gestattet.

Ich halte diese Mentalität für katastrophal. Und für einen Ausdruck von als Religion verbrämten, in Wirklichkeit aber unsozialen und korruptionsähnlichen Gesellschaftsstrukturen, die sich am starken Einfluß etablierter Gruppen und nicht an Fairness oder geltendem Recht orientieren. Eigentlich geht es den Deutschen noch viel zu gut, wenn sie sich solche Strukturen noch glauben leisten zu können.

Würde mich mal sehr interessieren, wer hinter diesen Ablehnungen genau steht.

5 Kommentare (RSS-Feed)

Stefan
8.4.2009 3:10
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Ich bin mir nicht so sicher, ob mir ein opportunistischer Heuchler nicht lieber ist, als ein fundamentalistischer Vollreligiöser.

In meinem Stadtteil ist christliches Gebimmel glücklicherweise fern – ich glaube die Protestanten machen davon ohnehin weniger Gebrauch, und die sind in Berlin in der Überzahl. Aber in meinem Stadtgeviert siedeln viele ökologisch orientierte Menschen, Psychologen Therapeuten unterschiedlichster Couleur. Nette Nachbarn, und ich weiß, daß es sehr fähige Psychologen gibt. Aber einige haben auch in der Nähe von Wünschelrutengängern und Edelsteintherapien gesiedelt. Krude Scharlatanerie, Esoterik.
Einerseits haben sie keine Glocken, und zweitens ist das eine zersplitterte Szene ohne rechte Lobby, soweit ich weiß.

Über walddüsteren Germanenkult gibt es einen schwachen Zusammenhang zu steinerscher Rassenideologie und Naziideologie, aber die trifft man hier nicht.

Allerdings sind viele von diesen Esoterikern wohl mit einem Bein noch oder wieder in der Amtskirche verortet. Dort sind sie mit ihrer Häresie nicht gern gesehen, aber nach dem Motto lieber schlechte Gläubige als gar keine duldet man sie wohl doch.

Aber Glaubensfreiheit heißt hier wohl v.a. Nichtangriffspakt, Harmoniesucht und Gotteslästerung bleibt verboten. Wenn es irgendwo 20 Deutsche auf einmal erwischt, dann ist Staatsakt, und die politische Elite rückt geschlossen in die Kirche ein.

Um 23:45 Uhr darf Helmut Schmitt mal was kritisches zu Religionen bei Maischberger sagen. Der ist aber der einzige, von dem man alle 40 Jahre derartiges hört.

Die Titanic ist eine zweite populäre Institution, die die Kirche mit offenem Visir angeht. Der andere Schmitt, der eine eigene Sendung hat, ist offenbar selbst religiös, und sehr zurückhaltend in die Richtung. Papst und Kondome traut er sich noch, aber weiter geht er nicht.

Eine schöne Theorie, an die ich aber nicht glaube ist, daß wir vom 30jährigen Krieg noch so bedient sind, daß wir jeden Religionsdisput meiden.

Das war doch die Firma Bertelsmann die kürzlich offenbarte, daß etwa 1/3 d. Deutschen fest an Gott glaubt, ein Drittel mehr lose, und 1/3 gar nicht. Aber dieses eine Drittel ist wohl bestens organisiert. Wenn ich sehe daß im Vorabendprogramm Nonnen und Priester auf Verbrecherjagd gehen, dann denke ich ich bin in die 50er Jahre versetzt. Will man da junge Mädchen für’s Kloster gewinnen? Wir sind Kopftuch?

Der Papst in seiner unerschrockenen Klarheit hat aber wohl so manchen drauf gebracht, daß diese Institution nicht einfach ein Universalverbündeter in moralischen Fragen ist, der zudem auch sozial ist.


yersinia
9.4.2009 8:36
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Ich hatte vor kurzem mal einen Beitrag gesehen, wo (vornehmlich) ältere Menschen – mittels darauf spezialisierten Anwälten – in und um Berlin mit großem Erfolg Kindertagesstätten “weg-klagen”.
Begründung: Der von den Kindern verursachte Lärm übersteigt die gesetzlich vereinbarten Grenzen der Lärmverordnung! Kinderlärm ist demnach gleichzusetzen mit industriell erzeugtem Lärm, da in der Verordnung nicht anders definiert.
Lärm ist Lärm, egal von wem verursacht.
Vielleicht gibt es ja irgendwan Anwälte, die diese “Marktlücke” für sich entdecken und die ersten Kirchen in Deutschland “wegklagen”. Sobald der erste damit Erfolg hat, ist dann meist der Damm (hier: Lärm-Monopol gebrochen).
Übrigens: Die weg-geklagten Kitas dürfen sich dann unmittelbar an stark frequentierten Ausfallstrassen neu niederlassen…


Hadmut
9.4.2009 8:47
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Oh, ich hab mal ne Zeitlang neben einem katholischen Kindergarten gewohnt. Ich sach dir, die waren auch echt übel – und unglaublich bösartig und intrigant. Und Rücksichtnahme kannten die gar nicht. Ähnlich wie bei den Kirchenglocken schalten die mit dem Argument “es sind Kinder” jede Vernunft aus und erwarten, daß deren Umwelt alles hinnimmt. Und auch, was da an Eltern immer auf der Straße rumstand und auf die Kinder wartete, war hochaggressiver Pöbel. Ich kann das in gewisser Weise nachvollziehen. Vielleicht nicht wegen der Kinder, aber wegen der Eltern.


Stefan
10.4.2009 2:11
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Wenn das der Beitrag war, den ich gesehen habe, dann war es zwar in oder um Berlin, aber nur ein Fall, und es gibt andere Gerichte, die das anders gehandhabt haben.

Und m.E: zum Glück. Kinder sind wild und müssen sich austoben. Früh genug wird stillsitzen, und teils später still gestanden geübt.

Daß es alte Leute waren die klagten läßt sich leicht damit erklären, daß der Kindergarten in einem Wohngebiet liegt, und die Eltern tagsüber arbeiten, während alte Leute gerne mal häufiger den ganzen Tag zuhause rumhocken.

Soll man vielleicht die Kinder mit Ritalin ruhigstellen? Zuhause festbinden?


Hadmut
10.4.2009 8:22
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Sorry, aber das stimmt so auch nicht. Das ist wieder so diese Universal-Abwehr-Rhetorik “Kinder müssen toben”. Das Problem an einem Kindergarten sind nämlich die Kinder, sondern die Erwachsenen in Form der Kindergartentanten und der Eltern, die mit dem Spruch “Kinder müssen toben” ihr eigenes Fehlverhalten rechtfertigen. Daß Kinder toben müssen mag richtig sein, aber es ist keine Rechtfertigung dafür, daß die Erzieherinnen ihre Aufsichtspflicht verletzen. Es ist kein Grund, daß die Erzieherinnen tatenlos zugucken, daß die Kinder in die Nachbarsgärten gehen und dort randalieren. Es ist kein Grund, daß der Kindergarten gegen Bauvorschriften verstößt. Es rechtfertigt nicht, daß fünfjährige Kinder im Kindergarten das Rauchen anfangen und das so erklären, daß sie sich das bei der Kindergartentante abgeguckt haben, die lethargisch rauchend zwischen den Kindern auf der Bank sitzt.

Das ist so eine ganz böse gesellschaftliche Entwicklung, daß man sich mit solchen Einfachregeln wie “Kinder müssen toben”, “Die Religion ist frei”, “Die Wissenschaft ist frei” ein Universalalibi zum Weggucken jeder Art schafft.