Ansichten eines Informatikers

‘The first rule of censorship is that you cannot talk about censorship.’

Hadmut
18.3.2009 0:07

Interessanter Streit aus Australien: u. a. Slashdot berichtet über eine Behörde aus Australien, die Wikileaks dafür auf die Sperrliste gesetzt hat, weil dort eine Sperrliste aus Dänemark wiedergegeben war.

Wenn jetzt aber nicht nur Kinderpornographie gesperrt wird, sondern sogar die Diskussion über die Sperrung von Kinderpornographie, dann sind wir schon ziemlich tief in der Zensur von Meinungen und in der Aushöhlung der Demokratie. Dann wird es gefährlich.

Ich hatte kürzlich bei Besprechungen im Familienministerium und im Bundeskriminalamt schon darauf hingewiesen, daß eine Kinderpornographiesperre einen kontraproduktiven Nebeneffekt haben könnte. Ließe man es bei der Strafbarkeit der Kinderpornographie, ohne diese im Internet zu sperren, könnte man eine Linkliste wohl relativ leicht als Straftat (Beihilfe, Anstiftung, Verbreiten usw.) einstufen.

Sperrte man aber solche Seiten, und da gibt es aus den Ländern, die schon sperren, ja genügend Kritik an der Auswahl der Seiten und viele Hinweise auf “Beifang”, dann könnte es leicht sein, daß ein Liste mit solchen Seiten, die man ins Web stellt, plötzlich unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stünde, denn spätestens dann müßte der Eingriff in die Kommunikationsfreiheit als Gegenstand der öffentlichen Diskussion und Meinungsbildung gelten. Vor allem dann, wenn wie in Deutschland, nicht nur die mehr oder weniger objektivierbare Kinderpornographie von Kindern unterhalb der Pubertät, sondern auch die Jugendpornographie gesperrt werden soll, die sogar ähnliche oder realitätsnahe Darstellungen erfassen soll, unter Strafe gestellt und gesperrt werden soll, ist eine Diskussion wohl berechtigt. Denn auch Zeichnungen oder jugendlich aussehende aber volljährige Pornodarstellerinnen wären davon erfaßt, was beispielsweise in deren Berufsfreiheit eingreift. Zu weit gehende Maßnahmen hätten deshalb ziemlich sicher den Effekt, daß man – unter der ernsten Absicht oder unter dem Vorwand – zum Zweck der Darstellung, wie weitgehend oder verfehlt die Sperrungen in den Augen der Äußernden gehen, den Schutz der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann. Denn wenn man sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit mal durchliest, sieht man, daß diese sehr weit geht und alles, was der öffentlichen Meinungsbildung dienen kann, geschützt ist. Erst Schmähkritiken, die nicht mehr in Zusammenhang mit einer sachlichen Auseinandersetzung stehen, liegen außerhalb des Schutzes. Wie man sich vorstellen kann, habe ich mich mit diesem meinem Standpunkt bei manchen der Teilnehmer nicht gerade beliebt gemacht.

Unter die Meinungsfreiheit könnte vielleicht auch der Umstand fallen, daß man derzeit auf Bundesebene noch verkündet, die Sperren dienten ausschließlich der Verhinderung von Kinderpornographie, während man auf Landesebene schon fordert, auch die sexuelle Belästigung von Minderjährigen zu verhindern, noch bevor die Einigung auf Bundesebene erfolgt ist. Selten sind die Begehrlichkeiten auf Ausdehnung von Eingriffen so schnell gewachsen und haben die Implementierung der Eingriffe so schnell überholt.

Ich habe aber auch gewisse Zweifel, daß die Beteiligten mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit so besonders vertraut waren. Jedenfalls vertrat unser lieber Innenminister Schäuble ja unlängst den Standpunkt, daß das Bundesverfassungsgericht sich aus der Gesetzgebung herauszuhalten habe (wenn die Kinderpornographie-Sperre es denn überhaupt zum Gesetz bringt) und nicht kompetent sei. Insofern glaube ich nicht, daß man sich für die Rechtsprechung des BVerfG so sonderlich interessiert. Wenn man schon, wie unser Innenminister, darauf pocht, im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht demokratisch legitimiert zu sein, der muß sich fragen lassen, wie er darauf kommt, und ob er personell und in seinem Handeln für den Wähler vorher absehbar war. Soweit ich mich erinnern kann, kam das alles erst nach der Wahl. Auch das wäre ein Grund, das Handeln und Sperren der Regierung meinungsbildend zu hinterfragen.

Überaus aufschlußreich, mancher würde sagen entlarvend, dürfte auch die ministeriale Äußerung sein, daß der “Schutz der Kinder wichtiger als die Freiheit der Kommunikation sei”. Auch wenn man inzwischen mehr oder weniger überall einräumt, daß eine Sperre kaum wirkt und kaum Schutz für Kinder bringt. Als Override für die Freiheit der Kommunikation muß sie allemal herhalten, und damit letztlich auch für die absehbare Beschränkung der Meinungsfreiheit.

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Kosta_
18.3.2009 10:45
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Grossartiger Titel. Der bringt es sowas von auf den Punkt.

Oh, und der Artikel selbst ist auch gut.