Ansichten eines Informatikers

“Die argumentative Bringschuld liegt natürlich bei den Kritikern…”

Hadmut
24.4.2009 19:14

Die Antwort des Bundestagsabgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl auf eine Frage von mir, welche Gründe denn eigentlich für eine Kinderpornosperre sprechen.

Ich habe früher hier schon erwähnt, daß ich beruflich in die Angelegenheit der Kinderpornographiesperren involviert bin und auch etwas tieferen Einblick habe. Und wie sich jeder, der mich und meine bisherigen Erfahrungen halbwegs kennt, denken kann, sehe ich diese Sperren und auch den Prozess ihres Zustandekommens sehr kritisch.

Dabei fällt mir immer wieder auf, daß es eigentlich keine richtigen Argumente für diese Sperre gibt, und alles, was da behauptet wird, eben nicht mehr als leere – und auch noch ständig wechselnde – Behauptungen sind, die sich bisher jeder Nachprüfung entziehen und eher dem “Laufenden Keiler” gleichen – jeden Tag ist die Position eine andere. Auffällig ist auch, daß ich bisher noch keinen wirklichen Internet- oder Rechtsfachmann (das Wort Experte vermeide ich inzwischen, weil sich das mehr nach politischer Opportunität als nach tatsächlichen Sachwissen richtet) gesehen habe, der für diese Sperre wäre. Je stärker einer für diese Sperre ist, desto weniger weiß er in der Regel vom Internet und desto geringer sind in der Regel seine Rechtskenntnisse (bzw. seine Achtung vor dem Recht).

Auffällig ist ebenso, daß die Argumentation für die Sperre im Wesentlichen darauf hinausläuft, die Kritiker zu diffamieren und zu verunglimpfen. Nicht der Standpunkt wird verteidigt, sondern die Kritiker werden persönlich angegriffen. So wird immer wieder unterstellt, daß jeder, der nicht genau so wie die Familienministerin denkt, grundsätzlich ein Kinderschänder ist und ein Interesse daran verfolgt, den angeblichen (und bisher unbelegten) Milliardenmarkt der Kinderpornographie aufrecht zu erhalten. Und damit wird letztlich auch unterstellt, daß jeder, der anderern Meinung ist, am Kinderpornogeschäft mitverdient und damit selbst Kinder mißbraucht. Frau von der Leyen stellt jeden als “krachend unfähig” hin, der technische Bedenken an der Umsetzung äußert (vgl. Plenarprotokoll 16/214), ohne jemals zu verraten, auf wessen sachkundige Einschätzung sie diese Auffassung stützt. Ein Familienministerium, das beispielsweise die Unterschiede zwischen HTTP, dem World Wide Web und dem Internet nicht kannte und das alles für das Gleiche hielt, dürfte schwerlich in der Lage sein, die Sachkunde von Informatikern zu beurteilen, die seit 20 Jahren in der Internet-Administration und seit über 10 Jahren im Providergeschäft tätig sind. Es zieht sich freilich wie ein roter Faden durch die ganze Angelegenheit, daß man es immer wieder betont und auch bewußt und absichtlich danach handelt, daß man gar nicht mehr danach fragt, was juristisch oder technisch richtig und möglich ist, sondern ausdrücklich den sogenannten “politischen Willen” und die “politische Entscheidung” über alles stellt und zum Maß aller Dinge macht. Nicht die fachliche Entscheidung zählt, sondern das Ziel wird willkürlich und politisch vorgegeben. Wer dem folgt, der ist Experte. Wer anderer Meinung ist oder das nicht umsetzen kann ist unfähig und ein Kinderschänder. So einfach und so brachial ist deren Logik. Weder Wissen noch Können zählen, sondern allein das Wollen der Mächtigen. Das sind feudale Strukturen.

Neben Frau von der Leyen sind viele Politiker in dieser Weise aufgetreten, besonders ist mir da noch der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Hans-Peter Uhl aufgefallen, der immer wieder durch seine derben Worte und Ansichten auf sich aufmerksam macht. Bereits in der oben erwähnten Plenarsitzung langte er ordentlich zu, bezeichnete Kritiker als “Reichsbedenkenträger” und wollte gleich das Parlament in “solche und solche” aufteilen, solche die mitmachen und solche die nur Bedenken hätten. Eine Argumentation wird überhaupt nicht mehr aufgebaut. Im Gegenteil, er lobt, daß von der Leyen sich über jegliche Form der Begründung und Argumentation hinweggesetzt hat und als einzigen Grund “Das ist mein politischer Wille” gebraucht hat, das absolutistische Gebaren eines feudalen Herrschers. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach verstieg sich gar dazu, die Provider, die nicht unmittelbar bereit waren, diese Vertragslösung zu unterzeichnen, regelrecht an den Pranger zu stellen und als Kinderschänder vorzuführen. Die ganze Debatte findet auf niedrigstem intellektuellem Niveau statt.

Umso erstaunlicher ist, daß eben jener Abgeordnete Uhl auf seiner Frage-Antwortenseite bei Abgeordnetenwatch die Kritik beispielsweise des Chaos Computer Clubs als “dummes Geschwätz” und “Hysterie von Pseudo-Computerexperten” beschimpft – ganz im Stil der bisherigen Argumentationsweise der Regierung. Das hat ihm weitere kritische Fragen eingebracht, wie man hier lesen kann.

Dabei habe auch ich ihm eine Frage gestellt, auf die er nun geantwortet hat. Ich hatte – bewußt neutral und aufgeschlossen – gefragt, welche “ernsthaften” Computerexperten denn er zugunsten der Kinderpornosperre anführen könnte, wenn er doch die Kritiker als “hysterische Pseudo-Experten” abtut. Irgendwo müßte es ja dann richtige Experten geben (von denen ich bisher allerdings in den beteiligten Kreisen noch keine gesehen habe). Und wo man denn die Argumente für die Sperre finden könnte. Denn bisher lauten alle mir vorliegenden Gutachten und Meinungen von Internet-Fachleuten und Rechts-Professoren darauf, daß diese Sperre mindestens sehr problematisch bis nicht möglich ist, eigentlich sind sich alle einig, daß es nicht geht. Da müßte man doch wenigstens mal ein paar wenige Argumente oder “Experten” finden, die dafür wären, damit man sich ein Bild machen könnte, warum man das überhaupt machen will und von der Durchführbarkeit und Wirksamkeit so überzeugt sei.

Seine Antwort war sehr aufschlußreich. Er verweist mich zunächst auf den Gesetzentwurf, den sollte ich doch erst mal lesen. Unterton: Wer zweifelt, ist nicht informiert. (Den ich gerade erst beruflich gelesen, geprüft und fachlich und teils auch juristisch kommentiert habe.) Argumente, Belege, Zitate, Fachleute findet man darin aber nicht. Und dann mit verblüffender Offenheit:

“Die argumentative Bringschuld liegt natürlich bei denen, die ein Vorgehen gegen Kinderpornographie kritisieren und nicht bei denen, die – statt sich mit den Problemen zufrieden zu geben – nach neuen Lösungswegen suchen.”

Die haben es gar nicht nötig, etwas zu begründen oder zu argumentieren. Sie sind die, die nach Lösungswegen suchen und brauchen keine Begründungen. Die, die da nicht gleicher Meinung sind, sind die, die sich “mit Problemen zufrieden geben”, und die sollen dann argumentieren. Was man dann leicht als “hysterisches Pseudo-Experten” wegwischen kann.

Und weiter:

Die Gegenargumente, die ich bislang gehört habe, erscheinen mir

  • teils nicht zwingend
  • teils widersprüchlich
  • teils an den Haaren herbeigezogen
  • teils auf Missverständnissen oder rechtlicher Unkenntnis beruhend.

(Genau denselben Eindruck habe ich übrigens von der Vorgehensweise unserer Regierung.) Aber sowas sagt sich halt immer leicht über Gegenmeinungen, die einem nicht passen. So aus der Sprüche-Kiste jedes Politikers. Schreib sowas auf und man hat den anderen in Frage gestellt ohne überhaupt etwas gesagt oder gelesen zu haben. Und alles mit “teils” relativiert, damit man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnt. Aber eigentlich gar keine Substanz mehr.

Und ebensoalt ist die rabulistische Methode, wenn einem nichts einfällt zu sagen, daß man sich nicht wiederholten möchte, so als sei der andere nicht informiert, wenn er überhaupt fragt:

Im Einzelnen habe ich dazu bereits einige Ausführungen gemacht. Ich bin nicht bereit, dies hier als ´ewige Wiederkunft des Gleichen´ immer neu auszubuchstabieren. Im Übrigen bin ich nicht die zentrale Auskunftsstelle zum Thema Kampf gegen Kinderpornographie.

Also kann er eigentlich gar nichts begründen. Denn auch in den Publikationen auf seiner Webseite kann er weder ordentliche Gründe, noch irgendwelche “Experten” nennen, die für die Sperre sind. Aber er stellt grundsätzlich alle als blöd, die ihm nicht folgen. Immerhin: Manche Ecken seiner Formulierungen lassen durchaus erahnen, daß er inzwischen in eine Defensive gerät und merkt, daß er seinen Standpunkt nicht argumentativ verteidigen kann. Aber was macht das schon, wenn doch die argumentative Bringschuld bei den Kritikern liegt.

Immerhin bestätigen diese Vorgänge eine meiner Thesen aus ganz anderem Zusammenhang: Viele, vielleicht sogar die meisten der hier beteiligten Politiker sind promoviert. Die Promotion soll – laut Gesetz – eigentlich der Nachweis der Befähigung zu selbständigem wissenschaftlichem Arbeiten sein. Eine Fähigkeit, die die meisten dieser Politiker ganz sicher nicht aufweisen. Die Promotion an Deutschen Universitäten beruht bekanntlich auf manchem, nur mit wissenschaftlichem Arbeiten hat sie sicher nichts zu tun. Wahrscheinlich war man auch bei deren Disputation (wenn sie überhaupt stattgefunden hat) der Auffassung, daß die argumentative Bringschuld bei den anderen liegt und sie selbst sich nur hinstellen müssen und sagen “Ich will” und alle Kritiker sind doof.

Bleibt die Erkenntnis, daß die Protagonisten der Internet-Sperren bisher eigentlich keine Argumente und greifbare Fakten haben, und sich darauf beschränken, alles um sich herum zu diffamieren und zu beleidigen. Bisher habe ich noch keinen Zeitschriftenartikel, kein Interview, keinen Aufsatz, kein Blog gefunden, in dem sachlich und greifbar – geistig oberhalb von “In Norwegen geht’s doch auch” – Gründe für diese Sperre benannt werden. Dagegen gibt es bei den Gegner und Kritikern eine so große Fülle von ordentlichen technischen, gesellschaftlichen und juristischen (zwar nicht immer aber oft sehr guten) Argumenten, daß ich längst den Überblick verloren habe und mit dem Lesen und Notieren der URLs nicht mehr mitkomme. Eigentlich könnte man meinen, daß nahezu alle, die was davon verstehen, gegen diese Sperren sind. Daß eine Minderheit es trotzdem durchsetzt, läßt Fragen über den Zustand unserer Demokratie zu. Aktueller Lesetipp dazu: Die Diskussion auf dem Beck Blog.

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URL-Sturm Medien und Politik…

Ich habe zu viele Tabs offen. Also kippe ich die URLs, Soundbites und meine Notizen hier einmal am Stück ab. Messen statt politisieren: Drugs in Portugal: Did Decriminalization Work?
“Judging by every metric, decriminalization in Portugal has been a …


Abschließender politischer Nachtrag…

Als Nachtrag zum politischen Kommentar von kürzlich sei auf jenen Telepolis-Artikel von Twister hingewiesen, der einiges zusammenfasst, was ich auch beobachtet habe. Ergänzend dazu passt auch dieser Artikel, den Kris erwähnte.

Und wieder frage ic…


[…] dass wir auch ‘Reichsbedenkenträger’ und ‘krachend unfähig’ sind [6]. Veröffentlicht in Informationsgesellschaft. Keine Kommentare […]


[…] stellt sich immer mehr heraus, dass das BKA krachend unfähig ist, illegale Inhalte auf ausländischen Servern zügig vom Netz nehmen zu lassen. Während Banken […]