Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Inkompetenz als Wissenschaftsmerkmal

Hadmut Danisch
5.6.2009 1:50

Und wieder hat mich ein Leser auf eine interessante Seite aufmerksam gemacht:

Im Blog von Jens Coldewey gibt es eine interessante Bemerkung über Informatik-Professoren:

Mir ist unbegreiflich, wie sich Informatik-Professoren damit schmücken können, in ihrem Leben keine 1000 Zeilen Code geschrieben zu haben, wie Architekten stolz darauf sein können “nicht mehr zu programmieren” (man vergebe mir, dass ich hier keine Namen nenne). Kennen Sie einen Chirurgen, der sich damit brüstet, in seinem Leben kaum mehr operiert zu haben, als drei Platzwunden zu nähen? Würden sie ihm Ihr Leben anvertrauen? Davor schützt uns zum Glück die Ärztekammer. Programmieren aber gilt als niedere Tätigkeit, die man am besten möglichst weit weg schiebt, zum Beispiel nach Indien. Diese Missachtung der Programmierkunst ist ein fataler Irrtum, wie ich denke, der unsere Volkswirtschaft Milliarden Euro jedes Jahr kostet.

Mir ist zwar nicht so genau klar, was es mit diesem “Scrum Developer” auf sich haben soll, aber besonders dieses Zitat ist interessant. An sich die gleiche Kritik, die ich auch schon öfters geäußert habe, auch den Vergleich mit Ärzten. Aber es ist immer eine Bekräftigung, wenn man das nicht alleine so sieht, sondern Sichtweisen auch von anderen bestätigt werden.

Es ist tatsächlich so, daß die Informatik als “junge” und erst vor wenigen Jahren gegründete “Wissenschaft” es geschafft hat, mangels Substanz an befähigten ausgebildeten Leuten zum Sammelbecken von Leuten anderer Fächer geworden ist, die in ihrem Fach nichts geworden sind. Unglaublich viele Informatikprofessoren (inbesondere viele, mit denen ich im Promotionsstreit aneinandergerasselt sind) haben selbst nie Informatik studiert, aber bilden sich ein, die letztendliche Autorität darstellen zu können. Viele Informatikprofessoren – vornehmlich die nicht ganz jungen – beherrschen nicht einmal die Grundlagen der Informatik, haben sich einfach selbst zum Informatiker erklärt.

Es ist erstaunlich, wie weit man das hinnimmt. In der Medizin gäbe es so etwas nicht. Zwar ist es fast überall so, daß man sich lieber vom Oberarzt als vom Professor Chefarzt operieren lassen sollte, weil der Chefarzt nur noch rumläuft und labert und keine Übung mehr hat. Aber der war auch mal Oberarzt, hat das schon mal gemacht und weiß, worum es geht. In der Medizin wird man wohl kaum einen Dozenten für Chirurgie akzeptieren, der noch nie operiert hat.

In der Informatik ist es aber Gang und Gäbe, daß gerade die Leute dozieren, die das, worüber sie dozieren, noch nie selbst getan haben. Man muß sich nur mal die Berufungsverfahren anschauen, beispielsweise die Nachfolge Beths. Da hat man als Professor für IT-Sicherheit jemanden ausgesucht, der über keinerlei Praxis verfügt und noch nie Feindkontakt gehabt hat, der noch nie konkret das getan hat, was er lehren soll. Das finden die aber normal. Die Universität hat gegenüber dem Verwaltungsgericht sogar geäußert, daß sie Praxis als schädlich ansieht und bei der Berufung negativ wertet. Die wollen ganz gezielt Leute, die keine Erfahrung haben, weil das nicht gewünscht ist. Könnte wohl manche professoralen Sichtweisen in Frage stellen.

Die Folgen sind in der Tat mindestens so grotesk, wie im besagten Blog angesprochen. Ich habe schon so viele Vorgänge erlebt, in denen man Professoren die einfachsten Dinge nicht klar machen konnte, weil das Grundwissen und jegliche Erfahrung fehlen, weil die das, wofür sie sich als Fachleute ausgeben, nie getan haben. Bei den Gerichtssachverständigen hatte ich mit Professoren zu tun, die sich zwar als die IT-Sicherheitsexperten ausgeben, aber dann zugeben müssen, daß sie von Kryptographie keine Ahnung haben oder – schlimmer noch – so tun als hätten sie Ahnung und dann eine Blockchiffre nicht von einer Betriebsart unterscheiden können.

Die Karlsruher Fakultät für Informatik hat jahrelang, noch bis vor kurzem (heute noch?) ihre Mitteilungen an die Professoren doppelt herausgegeben: Per E-Mail für die, die E-Mail lesen können, und per Papier für die, die es nicht können.

Beth war so ein Exemplar. Tat immer so, als wären die gesamte Security und die Kommunikation sein Universalgebiet, hatte aber faktisch keine Ahnung.

Beth surfte nicht im Internet. Er ließ surfen. Und zwar seine Sekretärin. Er sagte ihr, was er will und sie hatte ihm dann die Ausdrucke vorzulegen. Seine eigenen Fähigkeiten waren darauf beschränkt, etwas auf Papier zu kritzeln und das ins Fax zu legen.

Als Nokia damals den ersten Communicator herausbrachte, mußte Beth unbedingt und ganz schnell einen haben, und forderte ausdrücklich an, ihm das erste Gerät in Deutschland zu beschaffen, zum Angeben (was nicht ging, denn es waren schon einige verkauft). Das Ding war wirklich nicht schlecht, ich hab das damals eigerichtet.

Beth ist natürlich los und hat damit angegeben wie Schweinskopfsülze. Konnte aber nicht damit umgehen. Irgendwann rief er mich wutentbrannt von irgendeinem Flughafen an. Was ich für einen Murks produziert hätte, ich hätte ihm doch zugesichert, daß das Ding funktioniert. Nun stände er da und hätte sich blamiert, weil er irgendeine gutaussehende Journalistin angebaggert und mit seinem Communicator angegeben hätte, und nun würde das verdammte Ding nicht funktionieren. Schon sieben Versuche hätte er unternommen, eine E-Mail abzusenden, aber es ginge nicht. Ich solle das sofort in Ordnung bringen. Ganz eilig. Chef sauer.

Ich gucke also nach und finde tatsächlich besagte sieben Fehlermeldungen im Institutsmailserver. Der Mailserver hatte sich siebenmal mit Fehlermeldungen darüber beklagt, daß er mit E-Mail-Adressen der Art “Sehr geehrter Herr ….” nichts anzufangen wußte. Es war mir an diesem Abend per Mobiltelefonat trotz allen guten Zuredens nicht möglich Beth klarzumachen, daß bei der Eingabe einer E-Mail mit dem Eingabefeld Address nicht die Anrede gemeint ist (was das englische Wort auch bedeuten kann). Wollte der nicht einsehen. War ihm nicht klarzumachen, daß der Rechner ja irgendwie wissen muß, auf welchem Weg eine Mail zum Empfänger kommen soll. Das sind doch ganz wichtige und wissenschaftlich hochstehende Leute, es können doch nicht sein und angehen, daß man da als Absender und Professor noch schnöde Angaben zur Ablieferung machen müsse. Er meinte, ich hätte das nicht richtig verstanden, wenn ich glaubte, daß unter Address eine E-Mail-Adresse angeben müßte.

Richtig verstanden hatte es hingegen eben jede angebaggerte Journalistin. Die hatte ihm nämlich – wie auch immer das zu verstehen war – 20 Seiten blöder Witze aus irgendeiner Newsgroup auf seine Communicator-Mailbox geschickt, nachdem er bei ihr mit seiner E-Mail-Adressen angegeben hatte ohne zu verstehen, was genau das eigentlich war. Wichtig war ihm aber, daß ich als Mailadmin für ihn nicht nach dem Standard-Schema einfach beth@… eintrage sondern bqft@…. bqft stand übrigens für Beth-Quanten-Fourier-Transformation. Wenn schon der ignorante Rest der Welt nichts nach einem benennen will, muß man es eben selbst tun. Und damit ist er dann angeben gegangen, unter anderem diese Journalistin. Und die hat ihm an diese Adresse dämliche Witze geschickt. Was er nicht gemerkt hat.

Woche später, anlässlich einer Fehlersuche in anderer Angelegenheit, bemerkte ich am Communicator, daß Beth einiges in seiner Mailbox, es aber nie gelesen hatte. Das hatte er auch nicht verstanden, daß da Mails von anderen reinkommen. Warum ich ihm das nicht früher gesagt hätte, daß da was reinkommt. Ich solle ihm das sofort ausdrucken. Beth rannte also mit Communicator herum um unbedingt mobil zu sein, kam aber nur an seine Mail heran, wenn er das Ding in das Institut trug und sich seine Mails auf Papier ausdrucken und vorlegen ließ.

Als ich ihm dann die Witzliste ausdruckte und vorlegte, guckte er verdutzt und verkündete dann (das war so ca. 1996/1997, als das mit Spam gerade so die ersten Erscheinungsformen hatte und der Begriff gerade ganz neu in Mode kam) überall “Ach, ich werde zugespammt”. Er sei der erste, der so wichtig und bekannt wäre, daß man ihn bespammt.

Allerdings sah er ein, daß er mit E-Mail nicht klarkommt und lieber bei handschriftlichen Faxen bleibt. Die kann man nämlich auch einfach an der Hotelrezeption abgeben.

Und dann gab er weiterhin in allen Richtungen damit an, daß er nicht nur der erste Karlsruher Professor sei, der E-Mail eingeführt habe, sondern auch der erste, der die Nutzlosigkeit von E-Mail erkannt und diese auch wieder abgeschafft habe. Der glaubte allen Ernstes, daß seine Unfähigkeit zum Umgang mit einem Rechner ein Qualitätsmerkmal seiner hohen Wissenschaftlichkeit und Genialität war. Rechner-Know-How galt bei ihm als schnödes Maschinistentum und damit als Nachweis dafür, daß jemand gar kein Wissenschaftler sein könnte.

Und er gab sich als Meister der Telekommunikation aus und argumentierte mit Behauptungen herum, von denen er selbst nicht wußte, was es war (wie seine ominöse Public-Key-Adressierung). Der hatte nicht einmal die Grundlagen drauf und keine eigene Erfahrung.

Und solche Leute gibt es viele. Erschreckend viele Informatik-Professoren kennen sich nicht einmal in ihrem angeblichen Hauptgebiet aus. Können nicht programmieren (OK, die jüngeren sind da besser). Und finden sich darin auch noch gut. Und ich habe mit einigen zu tun gehabt. Das ist manchmal echt schlimm, wie groß die Wissenslücken mancher Leute sind.

Die Informatik hat es tatsächlich geschafft, Inkompetenz zum Qualitätsmerkmal hochzustilisieren. Und sagt bei Berufungen unverblümt, daß man Leute ohne Praxiserfahrung haben will.

4 Kommentare (RSS-Feed)

Bob
5.6.2009 9:42
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Naja, die Chirurgie hat halt eine sehr direkte “normative Macht des Faktischen”, die in der Informatik zwar letztlich auch vorhanden ist, aber viel besser versteckt.

In der Chirurgie gibts derartige Leute auch. Google mal nach “Friedl”, der war Chef der Unfallchirurgie an der Uniklinik Freiburg, wurde dann schließlich rausgekantet und klagt jetzt auf Millionenabfindung.

Oder der berühmte Gerd Postel, der Psychiatrie-Chef ohne Qualifikation wurde (und auch irgendwann aufflog).


Ascag
5.6.2009 13:28
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Vor ein paar Tagen habe ich folgendes bei der NY Times gefunden. Mit den Forderungen des Autor stimme ich nicht unbedingt überein, aber wohl mit seinem Anfangsvergleich:

http://www.nytimes.com/2009/04/27/opinion/27taylor.html?_r=1

“Graduate education is the Detroit of higher education”.

Mir sind da spontan einige weitere Ähnlichkeiten eingefallen.

Genauso wie die Autoindustrie (speziell der US-amerikanische) steht die Wissenschaft und die Universität komplett unter der Fuchtel einer unfähigen, aufgeblasenen, voll von sich selbst eingenommenen Oligarchie, die in ihrer schieren Inkompetenz den Laden an die Wand gefahren haben, aber trotzdem auf ihren einzigartigen Privilegien beharren.

Der CEO von General Motors hat es tatsächlich fertiggebracht, sich zu der Kongressanhörung – wo er um Geld für seinen Laden gebettelt hatte – mit dem Businessjet einfliegen zu lassen.

Ausgerechnet bei einer Klimakonferenz (ich suche noch einen Link zu dem Vorfall) hat ein Speaker es gewagt, einfach mal die ökologischen Kosten dieser Konferenz zu berechnen (mehrere 1000 Leute rund um die Welt zu fliegen, damit sie Gesichtspflege betreiben können. Und wir wissen, was die allermeisten Konferenzbeiträge ‘wert’ sind…). Die einzige Reaktion aus dem Auditorium kam sofort: “The importance of MY WORK outweighs this by far!”


Ascag
5.6.2009 13:51
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Und noch eine persönliche Erfahrung:

Ich selbst war im akademischen im Bereich Finite Elemente tätig.

Mein Prof ‘konnte’ nur Windows. Immerhin konnte er seine eMails abrufen, aber sonst nicht viel mehr. Regelmäßig hat er mich zu sich gerufen, weil er auf seinem Rechner irgendein Paper nicht mehr finden konnte.

Der Grund: Er hatte die Angewohnheit, alles – wirklich alles – was ihm per eMail zugeschickt wurde oder was er im Netz gefunden hatte, auf seinem Desktop abzuspeichern. Im Laufe der Zeit stapelten sich dann die Icons…

Wo es für mich dann aber richtig erschreckend wurde, war folgende Szene: Unser Rechencluster lief unter Linux, genauso wie ich fast ausschließlich Linux zum Arbeiten verwendete. Kommentar meines Profs, als er mir mal über die Schulter schaute, und eine Terminalbox mit Kommandozeile erblickte:

“Was ist denn das für ein komisches Betriebssystem?”

Kein Witz. An der Stelle war mir klar, wie es um die allgemeine Lebenstüchtigkeit und Kompetenz dieses Menschen bestellt war. Und dieser Mensch hatte auf meine Frage nach Karrieremöglichkeiten nur zu antworten gewusst: “Sie sollten auf jeden Fall den Doktor machen, danach einige Jahre Post-Doc, und dann können Sie sich an Ihre Habilitation ranmachen. So macht *man* das.”

Ich denke, ich habe die richtige Entscheidung an dieser Stelle getroffen: Ich bin so schnell wie möglich geflüchtet. Nie wieder Wissenschaft.

By the way: Danke an dich dafür, daß du diesen wichtigen und mutigen Blog führst.


Hadmut
5.6.2009 13:58
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Ich habe in der Frühphase meines Studiums mal ein besonderes Erlebnis mit einem Mathe-Prof. Irgendein Skript oder Buch oder sowas konnte man in seinem Sekretariat gegen Vorkasse bestellen. Ich ging nach der Vorlesung zu ihm und fragte, ob man das Geld auch überweisen könnte.

Der wußte nicht, was eine Überweisung ist, hatte der noch nie gehört und ließ sich das erst einmal – sehr interessiert und aufmerksam – von mir erklären. War so um 1987 herum.