Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Chefs mit Doktortitel statt Charakter?

Hadmut Danisch
1.9.2007 21:26

Im Harvard Businessmanager erschien ein hochinteressanter Artikel, der auch im SPIEGEL online zu habeen war:
Chefs mit Charakter dringend gesucht.
Es geht darin auch um Doktortitel. Wieder ein Artikel von der Sorte, bei denen ich spontan denke “interessant, daß nicht nur ich das beobachtet habe”.

Es geht um Deutschlands Führungselite. Und um die steht es nicht gut. Die Leute sind sich immer gleicher und immer schlechter. Uniforme gleichgerichtete Hohlköpfe mit MBA, die das Geschäft nicht mehr verstehen, sondern nur noch mit Blick auf kurzfristige Gewinne sich selbst verkaufen. Von der Sorte habe ich schon mehrere erleben müssen (für Insider: “Am Ende des Tages…”).

Dabei wurde auch festgestellt, daß sich die Struktur der Führungsebene in Deutschland von der anderer Länder unterscheidet. Die Deutschen Spitzenpositionen sind bevorzugt promoviert (Zitat aus o.g. Artikel):

Am liebsten promoviert

Ähnliches gilt für die Promotion: Während in Deutschland etwa 50 Prozent der Manager einen Doktortitel tragen, sind es in der Schweiz nur etwa 25 Prozent. Eine andere Untersuchung, die sogenannte “erwartete Musterbildungswege” von Top-Managern vergleicht, kam zu ähnlichen Ergebnissen: In den USA haben 5,6 Prozent und in Frankreich 4,1 Prozent promoviert – in Deutschland nicht weniger als 58,5 Prozent! Ein akademischer Abschluss ist damit zur Conditio sine qua non geworden, um eine Spitzenposition in einem deutschen Unternehmen zu erreichen. Darüber hinaus gehört ein Doktortitel zur erwünschten Ausstattung. Andere Ausbildungswege sind indes schon fast zum Hindernis geworden. […]

Spezifisches Fachwissen spielt eine eher untergeordnete Rolle. An ihre Stelle ist die Fähigkeit zur Selbstvermarktung getreten.

Der kanadische Managementvordenker Henry Mintzberg stellte in seinem 2005 erschienenen Buch “Manager statt MBAs” fest, dass der Schwerpunkt der Ausbildung auf Finanzen, Marketing und Buchhaltung liege, soziale Situationen kämen so gut wie nie vor. Alles, was MBAs können, so Mintzberg, sei im Büro zu sitzen, Daten zu sammeln, Kennzahlen und Kontrollverfahren zu entwerfen und bürokratische Strukturen entstehen zu lassen, die jeglicher unternehmerischer Vision widersprechen, ja sie sogar ad absurdum führen.

58,5 Prozent der deutschen Top-Manager promoviert, in den USA nur 5,6 Prozent!

Dabei ist zu bedenken, daß der Doktor nur in Deutschland im Namen als Veredelung geführt wird. In den USA ist sowieso eher der blanke Vorname üblich.

Das zeigt aber sehr deutlich in eine Richtung, nämlich daß die deutsche Promotion nicht (mehr) das ist, was sie per Gesetz eigentlich sein sollte: Nämlich der Nachweis zu selbständigem wissenschaftlichem Arbeiten als Berufszugangsprüfung zu den Forschungstätigkeiten. Ein Manager hätte gar nicht die Zeit, sich mit so etwas abzugeben, ginge es um die Eintrittskarte zur Wissenschaftsarbeit.

Gerade dann, wenn es aber nicht mehr um Fachwissen, sondern um die Selbstvermarktung geht, ist der Drang, sich mit bunten Federn in Form von Doktortiteln zu schmücken, natürlich erheblich – und die Bereitschaft, sich Doktortitel zu kaufen natürlich auch. Vor allem dann, wenn die Universitäten die Promotion selbst nicht mehr als Prüfung, sondern als Kontaktmöglichkeit zur Industrie auffassen. Derzeit herrscht der starke Trend, daß Universitäten nicht mehr der Forschung und Wissenschaft, sondern den Sponsoren und Drittmittelgebern verpflichtet sind. Da entwickelt sich ein reger Titelhandel.

Es gibt Behauptungen der Art, daß 90% der Dissertationen plagiiert wären. Selbst wenn man realitätsfern annimmt, daß die Manager mit Doktortitel und die plagiierten Dissertationen statistisch unabhängig und nicht korreliert wären: Dann wären immer noch über 52% der Manager Plagiatoren.

Es würde auch erklären, warum in Deutschland die Wissenschaft angeblich die Habiitation unbedingt braucht, es sie in allen anderen Ländern aber nicht gibt: Wenn der Doktor in Deutschland kein Leistungsnachweis mehr ist, sondern reines Handelsobjekt für die Industrie, dann braucht man natürlich ein Ersatzinstrument, um den Zugang zu den Hochschulprofessuren zu steuern.

Betrachtet man sich die Berufungsverfahren, dann zeigt sich, daß eine ähnliche Uniformität hin zu doofen – will sagen: charakterlosen – Bewerbern mit den immer gleichen Lebensläufen hin geht. Und einer wie der andere hat schöne Bewerbungsunterlagen, aber keine Ahnung von dem, was er zu tun hat. Die Selbstvermarkter sind an die Stelle der Wissenschaftler getreten. Und das ist auch noch gewollt, denn inzwischen geht es nur noch um das Einwerben von Drittmitteln, sonst eigentlich nichts mehr. Da braucht man keine Wissenschaftler, da braucht man Vermarkter. Und mittlerweile nimmt ja auch das Phänomen zu, daß Hochschulen beliebig die Meinung ihres Sponsors vertreten – wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und der Einfluss der Industrie auf die Hochschulen wird immer größer.

Insofern verkommt die Promotion von der fachlichen Prüfung mehr zur Charakterprüfung: Wer sich schwindel- und korruptionsfreudig gezeigt hat, der wird auch leicht in die oberen Etagen aufgenommen.

Eine andere Stelle des Artikels finde ich ebenfalls interessant, sie bestätigt ebenfalls meine Beobachtungen in Industrie und Wissenschaft:

Mächtige Seilschaften

Netzwerke per se sind nicht zu verurteilen. Zählen sie doch dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu zufolge zum sozialen Kapital eines Individuums. Dennoch tragen auch die typischen Seilschaften innerhalb von Unternehmen zu einer Standardisierung bei. Denn eine echte Karriere ist in der durch die genannten Mechanismen vorgefilterten Gruppe nur durch Beziehungen möglich. Diese fördert man erstens durch Herkunft und zweitens durch Anpassung.

Die Zugangschancen zu Führungspositionen erhöhen sich für Aspiranten mit einem Hintergrund aus dem gehobenen Bürger- und Großbürgertum drastisch, wie Studien der Eliteforschung belegen. Der klassenspezifische Habitus “der besseren Kreise” hat eine einseitige Auslese zur Folge. Mitglieder dieser Kreise neigen dazu, jene Personen zu fördern, die sich ein- und unterordnen können, einen ähnlichen Stallgeruch haben und den Netzwerkmitgliedern dienlich sind.

[…]

Auch diese Effekte habe ich in Industrie und Wissenschaft immer wieder beobachtet. Vor allem die Beförderung der Ein- und Unterordner.

Auch sonst sind in dem Artikel viele interessante und bedenkenswerte Aussagen zu finden. Man sollte ihn durchaus lesen und drüber nachdenken. Vielleicht sogar die Zeitschrift kaufen?