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Buchkritik: Das Google-Copy-Paste-Syndrom

Im Heise-Verlag ist in der Reihe TELEPOLIS das Buch “Das Google-Copy-Paste-Syndrom – Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden” von Stefan Weber erschienen. Meine Buchkritik dazu.

Pro:

Es war Zeit, daß mal jemand ein Buch über das Thema schreibt. Im Wissenschaftssumpf ist die Kritiklosigkeit schon so verbreitet, daß es eine wohltuende Ausnahme ist, wenn doch mal jemand Probleme beim Namen nennt. Endlich weist jemand mal darauf hin, daß der Intelligenzquotient in Gesellschaft und Wissenschaft nicht immer nur steigt, sondern – wie bei Aktienkursen – auch abstürzen kann. Oder das manche Disziplinen der “Wissenschaft” doch sehr stark auf inhaltslosem Gefasel beruhen. Wir befinden uns in einer Metamorphose von der Wissens- zur “hirnlosen” Scheinwissens-Gesellschaft, und er ist einer, der es bemerkt hat. Das Buch liefert eine gewisse Menge an Hinweisen, Denkanstößen und Quellen, und das zu einem moderaten Preis und in überschaubarem Umfang.

Kontra:

Das Buch leidet sehr darunter, daß es von einem “Wissenschaftler” geschrieben wurde, und damit unter den typischen Krankheiten akademisch-universitärer Werke. Einerseits soll es (wohl auch aus Gründen der Auflage) ein breites Publikum ansprechen, wie schon der Umschlag verspricht. Andererseits versucht Weber, ein wissenschaftliches Werk zu erstellen. Das kann nicht gleichzeitig funktionieren, und hier ging sogar beides schief.

Plagiate sind nicht die einzige typische Sünde im Wissenschaftsbetrieb. Auch das Aufschäumen von Texten ist eine. Das ständige Wiederholen ein und derselben Aussage in verschiedenen Modulationen eine andere. Und so merkt man sehr deutlich, daß Weber einfach nicht genug Material hatte, um ein Buch zu füllen. Schon nach etwa 60 der 150 Seiten fällt auf, daß er eigentlich nur sehr wenig zu sagen hat, es deshalb nur scheibchenweise servieren kann und sich ständig wiederholen muß. Es nervt geradezu, wie oft “Wickie und die starken Männer” auftauchen und für alles herhalten müssen. Und als der Plagiatsstoff trotz mehrfachen Aufknetens noch immer nicht auf Buchumfang ausgewalzt werden kann, muß eben zwischendrin noch eine Fehde mit den Kulturwissenschaften ausgetragen werden, deren Motivation und Zusammenhang mit dem Buchthema sich jedenfalls mir nicht erschlossen hat. Nach der Devise “Das mußte mal gesagt werden”. Vielleicht sollte ihm mal jemand stecken, daß Internet, Google und Wikipedia gar nicht von den Kulturwissenschaftlern erfunden wurden. Die sind zwar an vielem, aber nicht an allem schuld.

Ein anderer Schwachpunkt ist, daß das Buch zwar auf wissenschaftlich macht, aber nicht wissenschaftlich ist. So stützt sich das Buch auch auf fast keine Fakten oder Feststellungen, die Schlußfolgerungen sind teils hanebüchen. Gerade mal eine Handvoll wüster Beispiele muß ausreichen, um das Übel der Welt zu belegen. So bringt er zwei, drei Beispiele schlechter E-Mails, deren Quelle nicht einmal nachvollziehbar ist, und die ihm teils irgendwer weitergeleitet hat. Und aus dieser Grundgesamtheit von vielleicht einem Dutzend Beispiele folgert er, die Welt sei dumm und schlecht, und das Internet ist schuld. Ich selbst treibe E-Mail hochintensiv seit rund 20 Jahren und nie wäre mir dabei etwas von dem untergekommen, was er als typisch und charakteristisch hinstellt – noch dazu ohne es zu belegen. Er behauptet es einfach nur. Und selbst da, wo er Aussagen trifft, die anhand der täglichen Wirklichkeit nachvollziehbar sind, begeht er den wissenschaftlichen Grundfehler, eine Korrelation schon für eine Kausalität zu halten. Eine verschwindend geringe Grundgesamtheit, wissenschaftliche Vorgehensfehler, ein deutlich spürbarer technophober Internet-Haß und eine sich in der Formulierungskunst ergehende Oberflächlichkeit ergeben eine strukturlose Suppe, die kaum mehr bekömmlich ist und mehrfach in die Schwadronade abgleitet. Mit derselben Logik könnte man die Schuld für Plagiate statt dem Internet oder Google auch der Erfindung des Textmarkers oder dem Ausleihen von Büchern zuweisen. Obwohl der Autor noch jung ist, lesen sich seine Aussagen manchmal wie die eines wetternden Siebzigjährigen. Zugegeben, Weber beherrscht das wissenschaftliche Formulieren, er trifft eindrucksvolle Aussagen. Der Eindruck beruht aber eben nur auf Formulierungen, Substanz ist da keine dahinter. Da fehlt einfach das wissenschaftliche Fundament. Er regt sich über das pseudo-wissenschaftliche inhaltslose Geschwafel der Kulturwissenschaftler auf, unterscheidet sich selbst aber nicht wesentlich davon. Da regt sich einer über die Geistlosigkeit anderer auf, der selbst noch nicht gemerkt hat, daß Wissenschaftlichkeit viel mehr als nur richtig zitieren und geschliffen formulieren ist. Eine Aussage wird nicht schon dadurch richtiger, daß man deren Quellen angibt. Manches, was er sagt, ist schlichtweg falsch, ob nun mit oder ohne Quelle. Aber es geht ihm ja gar nicht um richtige Aussagen, sondern nur um richtiges Zitieren. Zitieren als Selbstzweck. Während er selbst unablässig wiederholt, wie oft man seine Dissertation plagiiert habe, frage ich mich beim Lesen eher, ob ein promovierter und habilitierter Wissenschaftler nicht eigentlich viel besseres als so ein Buch zustandebringen können müßte. Mir drängte sich daher der Eindruck auf, daß auch das Plagiiertwerden schon für sich alleingenommen als hohes Qualitätsmerkmal des Originals hingestellt werden soll. Dienen Buch und Telepolis-Artikel am Ende dem Zweck, der Welt anzupreisen, wie oft seine Dissertation plagiiert wurde? Ist das der Grund, warum er es so oft wiederholt? Eigenlob unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit?

Webers Standpunkt ist auch nicht viel weniger naiv als der jener, deren Naivität er marktschreierisch anprangert. Seine platte Sichtweise ist, daß früher alles besser war, und die Jungend von heute unter dem Einfluß des Internet hirnloses Zeug daherredet. Nur die Strenge der Lehrer könne dem entgegenwirken. Das ist unlauter, denn der sprichwörtliche Fisch stinkt vom Kopfe her. Daß der heutige Schul- und Universitätsbetrieb eine Copy-Paste-Arbeitsweise geradezu erzwingt und daß Professoren mit schlechten und sterbenslangweiligen Vorlesungen (und Büchern) den Hörern diese Arbeitsweise vorleben, darauf geht er nicht tiefer ein. Er deutet es einmal ganz leicht an, gibt die Schuld dafür aber den Studenten, die “unterhalten” werden wollen. Die Hörer sind also schuld an schlechten Vorlesungen, wer sonst? Auch die hochinteressante Frage, warum eigentlich plagiierte Prüfungsleistungen (sogar in Kenntnis des Plagiats) oft erheblich besser bewertet werden als selbstverfasste, wirft er nicht auf. Er erwähnt zwar, daß das vorgekommen ist, vermeidet aber sorgfältig, es näher zu beleuchten. Dabei wäre das doch das Thema schlechthin gewesen. Viele Professoren halten das Plagiat für besser als eine echte Arbeit, manche verlangen sie sogar ausdrücklich. Es wurden schon Arbeiten abgelehnt, weil sie nicht genug plagiiert waren. Manche Doktoranden haben nur durch Abschreiben Bestnoten erreicht. Wir haben Zitierkartelle, die falsche Quellenangaben erzwingen, und Professoren, die Quellenangaben auf “graue” (sprich: unerwünschte) Literatur von vornherein verbieten – abschreiben Ja, aber auf keinen Fall mit Quellenangabe. Welchen vernünftigen Grund soll ein Student haben, davon noch abzuweichen? Welche Alternative soll ein Student überhaupt noch haben? Das hätte Thema des Buches werden müssen, und dann hätte es auch ohne Wiederholungen und Schäumungen zum Buchumfang gereicht. Aber stattdessen geht er – nicht anders als Plagiatoren – den Weg des geringsten Widerstandes: Schuld ist das abstrakte Internet, Schuld sind immer die rangniedrigeren bis gerade etwa kurz nach der Promotion. Alles darüber wird ausgeblendet und nicht angetastet, man will es sich ja schließlich nicht verscherzen. Weber sucht Community-kompatible Sündenböcke, keine Ursachen.

Dadurch vermeidet Weber, die eigentlichen Problembereiche zu untersuchen. Es gibt Kontaktpunkte, aber er flüchtet dann
sofort. Deshalb bemerkt er in seiner “Alles-so-schlimm”-Rhetorik nicht, daß die Realität viel schlechter ist, als er sie beschreibt. Plagiate sind nicht der Tiefpunkt der Wissenschaft. Für viele Wissenschaftler, darunter auch Professoren, wäre es schon ein riesiger Fortschritt, wenn sie denn erst einmal richtig zu plagiieren lernten. Viele sind nicht einmal dazu in der Lage, können nicht einmal richtig abschreiben. Manche Prüfer sind noch schlechter als ihre Prüflinge und selbst mit seichten Prüfungsleistungen überfordert. Daß viele Prüfer aus Unsicherheit und Inkompetenz Plagiate bevorzugen oder sogar verlangen, weil sie nur bereits Publiziertes risikolos für richtig halten können, eigene Aussagen des Prüflings hingegen a priori ablehnen, weil sie Risiko und Aufgabe scheuen, etwas selbst zu bewerten, kommt in dem Buch nicht vor. Auch nicht, daß sich bereits ganze Fachbereiche daran angepaßt haben, daß Dissertationen grundsätzlich abgeschrieben werden. Daß nicht nur Prüfungsleistungen erschummelt werden, sondern daß sogar die Prüfungsbewertungen vielerorts plagiiert, geschwafelt, gefälscht und so katastrophal schlecht sind, daß sie geheimgehalten und weggeschlossen werden müssen, hat der Autor noch nicht gemerkt. Er empfiehlt die Ombudsleute und Kommissionen anzurufen. Daß die selbst aber oft noch schlimmer sind und kollegial alles vertuschen wollen, hat er noch nicht erfaßt. Denn das alles herauszufinden würde ja ernsthaft Arbeit machen und die Erstellung eines Buches nicht in kurzer Zeit ermöglichen. Und Widerstand in der “Szene” hervorrufen. Also geht er den einfachsten Weg – nicht anders als googelnde Studenten – und verharmlost das epidemie-artige Wissenschaftsgeschwafel als Internet-Wikipedia-Studenten-Problem (und Problem der Kulturwissenschaften).

Aber nicht nur in der Vorgehensweise ist das Buch verfehlt, auch in der Zielrichtung. So brandmarkt er schon die Übernahme eines einzigen Satzes als unentschuldbares Plagiat. Die Frage, ob der Satz überhaupt zitierwürdig und eine geistige Leistung war, interessiert Weber nicht. Das ist hochgefährlich und ein Merkmal heutiger Blubber-Wissenschaften: Jeder noch so laue Furz wird zum geistigen Ereignis hochstilisiert. Wissenschaften und Wissenschaftler, die überhaupt nichts verwertbares, nichts taugliches hervorbringen, müssen sich dahinretten, daß sie Unmengen von Text erzeugen, deren Wert sich allein im Zitiertwerden erschöpft. Wie einen Gegenstand zu schaffen, dessen einziger Sinn und Zweck darin besteht, geklaut zu werden. Klaut ihn keiner, bleibt er nutz- und wertlos. So macht sich Weber nicht die Mühe, auf das Klauen von Gedankengängen einzugehen, sondern bleibt an Wortklau(b)ereien hängen. Ob die Entnahme überhaupt zitierpflichtig war und selbst die nötige geistige Tiefe aufwies, fragt er erst gar nicht. Insofern erstaunt es sehr, daß in dem Buch erst gar nicht auf Urheber- und Prüfungsrecht eingegangen wird. Denn da steht, wie und was man zitieren darf und muß. Aber solcherlei Realität und Grundlagenarbeit wären zu schnöde, ein typisches Werk aus dem Elfenbeinturm also. Damit erinnert seine Sichtweise doch sehr an Trivialpatente, die für jede noch so flache Winzigkeit Gebühren einfordern, und seine Schwadronade gegen Google und Wikipedia weist erhebliche Parallelen zu Microsofts Tiraden gegen Open Source auf. Und daraus ergibt sich auch die Motivation für dieses dünne und nicht einmal halbgare Buch: Es geht hier gar nicht darum, Tiefgang oder Wissenschaft zu betreiben. Es geht darum, als erster dagewesen zu sein und den Claim abgesteckt zu haben, auf daß man künftig von jedem Gebühren – sprich: Zitierungen, also Münzen der Wissenschaftswährung, die in echte Währung konvertibel sind – verlangen kann. Wegelagerei, die sich als Wissenschaft ausgibt? Liegt nicht viel eher darin die Ursache des Copy-Paste-Phänomens? Daß es seit der Einführung der Zitierwährung keinen Baum mehr geben kann, an den nicht irgendwer zuvor schon mal gepinkelt hätte, und wenn es auch nur drei Tröpfchen wären?

Zum Abschluß sei bemerkt, daß das Werk auch äußerlich einige Schlampigkeiten aufweist. So stimmt schon der Titel nicht. Was er beschreibt, ist lediglich ein Symptom, aber noch kein Syndrom. Aber letzteres klingt und verkauft sich halt besser. Und obwohl er so über alle herzieht, die in seinen Augen nicht richtig zitieren, einschließlich der Plagiate n-ter Ordnung, habe ich beim Lesen spontan etwas gefunden, bei dem er fälschlich auch nur die Quelle zweiter, aber nicht erster Ordnung angibt. So leicht kann’s gehen. Und auch der Heise-Verlag sollte zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Auch da hat man schon wider besseres Wissen einen Plagiator als Erfinder ausgegeben, weil er medienträchtiger als der echte Erfinder war. Umsatz ist halt noch wichtiger als richtiges zitieren.

Tragisch (komisch?) an diesem Buch ist, daß der Autor in dem Ansinnen, das Copy-Paste-Phänomen anzuprangern und zu bekämpfen, die Ursachen verkennt und versucht, Internet und Studenten als (alleinige oder jedenfalls Haupt-)Ursache hinzustellen, dabei aber ungewollt und unbemerkt Copy-Paste fördert, indem er sich in einer ganz anderer Ursache verheddert: Weil das Buch nur von seinen geschliffenen Formulierungen, plakativen Vorwürfen, kategorischen Schuldeinteilungen und zornigen Schwadronaden lebt, aber eigentlich keine Substanz oder tieferen Gedankengänge aufweist, kann man das Buch auch nicht anders nutzen, als seine elaborierten Formulierungen, seine durchaus beachtenswerte Wortwahl und seine wohlfeilen aber auf einzelne Sätze reduzierten Aussagen wörtlich zu übernehmen, sei es nun als Zitat oder als Plagiat. Mehr als Copy-and-Paste gibt das Buch selbst nicht her, zu mehr taugt es nicht. Und damit hat der Autor letztlich dann doch noch eine echte Ursache für Copy-and-Paste gefunden, nämlich daß es heute auf das Reden und nicht mehr auf das Sagen ankommt. Man müßte es ihm nur mal sagen.