Ansichten eines Informatikers

Keine Witze über Frauen mehr

Hadmut
9.6.2022 20:40

Zum Zustand und Niedergang der Presse

Bei der Washington Post kocht’s gerade.

Man hat den Reporter Dave Weigel für einen Monat ohne Gehalt freigestellt/suspendiert. Warum? Eine Kollegin hatte ihn bei der Firmenleitung angeschwärzt, weil er auf Twitter einen Witz über Frauen retweetet hatte.

Foxnews:

On Friday, reporter Felicia Sonmez shared a screenshot of a tweet written by YouTube host Cam Harless, who said, “Every girl is bi. You just have to figure out if it’s polar or sexual.” That tweet was later shared by Weigel.

“Fantastic to work at a news outlet where retweets like this are allowed!” Sonmez reacted.

Auf deutsch: Ein Youtuber namens Cam Harless hatte als Witz getwittert: „Jede Frau ist Bi. Man muss nur herausfinden ob -polar oder -sexuell.“ (Bipolar – verstanden?) Weigel hatte das retweetet. Und die Kollegin Felicia Sonmez hat sich beschwert bei einem Arbeitgeber arbeiten zu müssen, der sowas erlaube.

Dazu auch Skynews Australia.

Das nun hatte dazu geführt, dass ein anderer Kollege der Washington Post leichte Kritik an ihr geäußert hatte. Jeder mache mal Mist, aber was sie treibe, sei Mobbing und sich aufzuspielen, und damit sehe das nicht gut aus, weil die Inklusivität dann eben wie Mobbing aussehe. Den hat sie dann auch gleich vor die Geschäftsleitung gezerrt.

Daraufhin hat der „executive editor“ (Herausgeberin, Chefredakteurin oder sowas in der Art) mails rumgeschickt, dass die Leute doch bitte freundlich zueinander sein sollten. Sie seien zwar gegen Rassismus und Sexismus, aber dass sich Kollegen gegenseitig attackierten, das würden sie auch nicht tolerieren.

Daraufhin hat Felicia Sonmez auch das Management angegriffen, obwohl die Kollegen sie dringend baten, doch endlich aufzuhören.

Das dann haben die Leute in den Social Media natürlich mit Wonne hochgekocht. Und der ursprüngliche Verfasser des Witzes, jauchzt vor Freude darüber, dass er es geschafft hat, die Washington Post in Brand zu stecken und dort einen Bürgerkrieg auszulösen.

Ich glaube, man kann wirklich sagen, dass die Presse am Ende angekommen ist.

Ich kann mich irgendwie gegen die Analogie nicht erwehren, dass es mit den Zeitungsredaktionen läuft wie mit den Kaufhäusern. Entstanden in den letzten 200 Jahren, entwickelt aus dem damaligen Stand der Technik und dem hohen Transport- und Kooperationsaufwand, Generalisten vor Ort, bei denen man alles kaufte, was man brauchte, weil die Entfernungen das Hindernis waren, woanders zu kaufen. Dafür eben ein Vollangebot ohne Alternativen.

Inzwischen am Absterben, weil erstens durch das Internet quasi unbegrenzte, insbesondere ortsunabhängige Konkurrenz, und es inzwischen kleine, fachlich spezialisierte Konkurrenten gibt.

Man könnte in gewisser Weise sagen, dass die großen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage das Schicksal von Horten, Karstadt, Kaufhof teilen. Früher eine alternativlose Selbstverständlichkeit. In jeder Stadt gab es einen Platzhirsch, und bei dem kaufte man eben. Inzwischen völlig überkommen.

Als ich noch Student war, gab es in der Fußgängerzone in Karlsruhe im wesentlichen Universitätsbuchhandlungen, Fotogeschäfte, einen Werkzeugladen, Klamotten und die großen Kaufhäuser. Man kaufte eben in den Kaufhäusern Karstadt/Hertie, weil es eben die und sonst nicht viel gab, sogar Kameras hatten die im Angebot, zum Friseur bin ich dort auch gegangen. Ich kannte das als Kind schon so, dass man bei Horten einkaufte. Da gab es alles. Und was es da nicht gab, kaufte man bei Kaufhof.

Inzwischen kann ich mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal was in einem Kaufhaus gekauft habe. Ich war am Alex mal im Kaufhof, um was zu schauen, aber habe nichts gekauft.

Oder doch, mir fällt ein, was ich zuletzt in einem Kaufhaus gekauft habe. Ich war so um 2006/2007 zu einem Termin in Zweibrücken bei einem Rechtsanwalt, und hatte den USB-Stick zuhause vergessen. Weil direkt gegenüber des Parkplatzes ein Kaufhaus war, habe ich dort schnell einen gekauft und die Daten vom Notebook neu drauf kopiert. Und als ich 2012 neu in Berlin war, war ich zu einer Feier eingeladen, pralle Sonne, hatte aber keine Hut. Also habe ich mir im damaligen Kaufhaus hinter dem Ostbahnhof (da ist jetzt Zalando drin) schnell ein Sonnenhütchen gekauft. Wenn mir die beiden Kaufhausbesuche der letzten 15 Jahre noch einfallen, sagt das eigentlich alles über Kaufhäuser – und Zeitungsverlage.

Ich glaube, die können völlig weg und durch kleine, spezialisierte Mini-Redaktionen als Blogger-Teams ersetzt werden.