Ansichten eines Informatikers

Kirche kaputt

Hadmut
17.4.2019 21:14

Habe ich das jetzt richtig verstanden?

Sie halten die Notre Dame für eines der wichtigsten Gebäude Frankreichs, sind der Meinung, dass es ohne sie Paris eigentlich nicht gegeben hätte, haben vor 850 Jahren angefangen, sie zu bauen, haben 200 Jahre an dem Ding gebaut (wartet, bis der BER fertig ist…), bewahren darin ihre kostbarsten Reliquien auf, haben innerhalb von 48 Stunden eine Milliarde an Spenden gesammelt, und jetzt erst, nachdem ihnen ein Teil davon abgebrannt ist, jetzt merken sie, dass sie es nicht wieder aufbauen können, weil sie keine Pläne haben und eigentlich keiner weiß, wie das Dach so gebaut worden dar?

Und der mit Abstand beste Bauplan, den sie haben, ist das Videospiel Assassin’s Creed, weil das Videospiel dort handelt?

Tatsächlich hat Ubisoft für seinen 2014 veröffentlichten “Assassin’s Creed”-Teil “Unity” die berühmte Kirche mit viel Liebe in 3D rekonstruiert. Dafür hat die Ubisoft-Künstlerin Caroline Miousse fast zwei Jahre lang nahezu in dem Gebäude gelebt. Das Resultat ist die vermutlich genaueste Nachbildung des Bauwerks.

Obendrein lässt sich die Ingame-Kathedrale in der Rolle von Hauptcharakter Arno von innen wie außen erkunden, erklettern und umrunden. Hersteller Ubisofts Mithilfe als französisches Unternehmen beim Wiederaufbau scheint Ehrensache zu sein.

Hier gibt’s noch Bilder dazu.

Wir laden heute in jeder Minute hunderte von Stunden Mist auf Youtube, wir fotografieren uns dumm und dämlich, wir vermessen jeden Tatort mit Laser und weiß der Kuckuck was nicht alles.

Und niemand kommt in Zeiten des Terrors mal auf die Idee, mal ein Reverse Engineering der Kirche zu machen und Bauteilpläne anzulegen? Und sei es auch nur, um mal einen einzelnen Balken auszutauschen?

In diversen Medien hieß es, man könne das gar nicht mehr aufbauen, weil man erstens das Wissen nicht mehr habe und das Handwerk nicht mehr beherrsche, und weil man zweitens soviele Fachkräfte gar nicht mehr finden könne.

Ich nehme ja mal an, dass sie zumindest von der Dredener Frauenkirche Pläne haben, nachdem sie sie ja neulich erst neu aufgebaut haben. Aber wie sieht das mit den anderen historischen Gebäuden aus?

Die Frage wäre auch, ob man heute überhaupt noch Baumaterialien hat und findet, die 800 Jahre lang halten können. Vorhin kam irgendwo etwas im Fernsehen darüber, dass sie da gerade Eichenbalken allen zum provisorischen Abstützen mit dem Kran einpassen, und schon die wären so groß, dass eine Eiche 100 Jahre wachsen muss, um sie zu bilden.

Ich war mal auf einer Konferenz am MIT in Boston, zufällig um den 4. Juli, und habe da auch im Hafen dieses eine noch existierende Schiff der damaligen ersten US-Armada nach der Lossagung von England besichtigt, das damals so dick aus Holz gebaut war, dass es praktisch gepanzert war und Kanonenkugeln einfach wirkungslos abprallten. Man kann außen noch ein paar Dellen sehen, merh haben damalige Kanonenkugeln da nicht bewirkt. Dabei erklären sie auch, dass das Schiff nicht mehr originalgetrau restaurierbar ist. Hin und wieder müssen sie mal irgendeine Planke oder einen der seitlichen Teile (ich kenne den Fachbegriff nicht) des Rumpfes austauschen, weil dann doch durchgegammelt, und können es nicht originalgetreu, weil es Bäume dieser Art in der erforderlichen Größe nicht mehr gibt. Alles abgeholzt. Deshalb müssen sie da irgendwelche Kunstharzverbundstoffe verwenden, die dann täuschend ähnlich aussehen, aber eben nicht echt sind und auch keine mehreren hundert Jahre mehr halten würden.

Wie kann das eigentlich angehen, dass man Gebäude unter Denkmalschutz stellt, sie aber nicht so dokumentiert und digitalisiert, dass man sie wieder aufbauen könnte?

Es gab vor einigen Jahren mal einen Bericht darüber, dass der Vatikan ziemlichen Aufwand treibe, um sein Archiv mit neuesten Methoden zu digitalisieren und Sicherheitskopien anzulegen. Warum macht man das nicht auch bei historischen Kirchen, wenn sie ihnen denn so wichtig sind?

Eine andere Frage wäre natürlich, ob das Ding überhaupt Rauchdetektoren, Feuermelder und so weiter hatte. Irgendwo hieß es ja, die Feuerwehr sei erst nach einer Stunde da gewesen, weil sie im Verkehr feststeckten.

Mich würde mal interessieren, wieviel man bei uns aus dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek gelernt hat. Oder warum man überhaupt noch historisch wertvolle und unersetzliche Artefakte in brennbaren Holzhäusern aufbewahrt. Man sieht ja, dass 850 Jahre Bestand heute auch keine Bestandsgarantie mehr sind. Deshalb sollten wertvolle Bestände in modernen, nach Brandschutzkriterien erstellten Gebäuden gelagert werden. Kölner Stadtarchiv, zum Beispiel.

Irgendwie hat man manchmal den Eindruck, dass Dinge über Jahrhunderte hielten, bis die heutige Generation vorbeikam.

Es gibt Schriften, die tausende Jahre alt sind und das alles überstanden haben. Wir schreiben heute digital ins Web, und die Haltbarkeit liegt zwischen 2 Stunden und 20 Jahren. Wenn uns in 800 Jahren die Archäologen ausbuddeln, werden sie schlussfolgern, dass wir nicht schreiben konnten, weil keine Schriften überliefert sind.