Ansichten eines Informatikers

Weiße Männer und die Technik

Hadmut
17.1.2019 22:00

Über Wissen, Unwissen und Halbwissen.

In den Social Media und dem Pressesumpf macht man sich gerade über Horst Seehofer lustig. Gut das ist nichts grundsätzlich Neues, aber hier ist es der Anlass.

Seehofer hatte irgendwo auf den Vorhalt, er habe keine Ahnung von Technik und Internet, gesagt, er habe schon in den 80er Jahren im Internet gesurft.

Nun machen sie sich alle lustig darüber, dass er nicht wisse, wovon er rede, das habe es doch damals noch gar nicht gegeben. So der Kurier:

“Ich bin auch sehr im Internet unterwegs, nicht so sehr mit Ihnen und mit Twitter und so weiter”, sagte Seehofer vor den versammelten Journalisten. “Aber seit den 80er Jahren. Es fasziniert mich einfach, was in unserer Zeit hier möglich geworden ist.”

Der scheidende 69-jährige CSU-Chef wurde danach in den sozialen Netzwerken gehörig durch den Kakao gezogen. Ein Sprecher im deutschen Innenministerium sagte später auf Nachfrage, Seehofer habe sich bei der Pressekonferenz natürlich versprochen.

Internet erst in den 1990er Jahren in Europa

Vorläufer des Internets gab es zwar schon in den 1980er Jahren, das World Wide Web wurde aber erst 1989 von Tim Berners-Lee und anderen Internet-Pionieren entwickelt und fand schließlich in den 1990er Jahren zunehmend Verbreitung.

Oder das ARD Hauptstadtstudio:

Egal: „der_Seehofer“ wäre nicht „der_Seehofer“, wenn er nicht immer neu überraschen könnte. Sein neuester Coup: Er war schon in den 1980er Jahren im Internet! Das ist wirklich unerhört. Dann ist er ja fast ein Digital Native – so nennt man diejenigen, die mit dem ganzen Digitalkrempel aufgewachsen sind. Zwar war „der_Seehofer“ in den 1980ern schon längst erwachsen, aber Internet war damals verdammt selten – genau genommen so selten, dass es das eigentlich noch gar nicht gab. Sicher, Militärs haben schon wild gefunkt. Und in Wissenschaft und Forschung wusste man mit dem Begriff auch schon was anzufangen. Aber normale Menschen? Nein!

Etwas weniger falsch, aber noch lange nicht richtig.

Das mag ja sein, dass Seehofer da Blödsinn dahergeredet hat, aber die Reaktionen waren noch weit blöder.

Nur damit Ihr das mal alle wisst: Ich habe in den 80er Jahren im Internet gesurft.

Der Punkt ist nämlich, dass Internet und World Wide Web zwei verschiedene Dinge sind. Internet gab es schon lange vor dem World Wide Web, und es ist auch kein „Vorläufer”. Das Internet selbst hat mit dem World Wide Web eigentlich gar nichts zu tun, denn dem Internet ist es völlig egal, was Inhalt der Pakete ist. Die Post war ja auch nicht nur ihr Vorläufer, bevor es Amazon gab. Wer Internet und Web nicht auseinanderhalten kann, der braucht sich über Seehofer das Maul nicht zu zerreißen, denn der ist auch nicht schlauer.

Und es stimmt auch nicht, dass das Internet vorher so selten war, dass es das „eigentlich noch gar nicht gab” und man „in Wissenschaft und Forschung mit dem Begriff schon was anzufangen wusste”.

Das Arpanet war der Vorläufer des Internet, und das wurde nicht in den 80ern, sondern 1969 realiert. Daraus wurde ab 1981 das Internet entwickelt. Und zwar ziemlich flott.

Schon in den 80er Jahren gab es in den Usenet-Gruppen enormen Datenverkehr. Der Punkt ist nämlch, dass auch das Usenet nicht auf das Internet angewiesen war, sondern mit News und Mail und ähnlichen Diensten ursprünglich auf UUCP und Modemverkehr aufbaute. Deshalb gab es schon einen riesigen Datenverkehr, lange bevor das Internet sich ausgebreitet hatte, und deshalb ging das mit der Nutzung des Internet dann ziemlich flott voran, weil man nicht erst Nutzungen finden musste, sondern bereits bestehenden Nutzungen auf das Internet verlagerte.

Ich habe in den Achtziger Jahren in großem Umfang Quelltexte und alle möglichen normalsprachlichen Texte (was heute auf Webseiten steht) in der Uni aus dem Internet geholt, und zwar dem Usenet, damals über einen VAX-Account, und dann per Kermit auf einen Amiga im Institut kopiert, dort auf Diskette, und dann in meine Studentenbude getragen, wo ich auch einen Amiga hatte, um das Zeug dann zu bearbeiten.

Das war damals noch abenteuerlich, Quelltexte hat man als Shell-Archive (shar) oder dann als tar-Archive, die per uuencode in Text gewandelt und dann mit split in Teile geteilt und als Texte gepostet wurden. Da hat man das schon mal aus 47 Teilen wieder zusammensetzen müssen. Ich hatte damals mal einen Decoder für die Kodak PhotoCD geschrieben, den habe ich auch per Newsgruppe in der Welt verteilt.

In den 80er Jahren, lange vor dem World Wide Web, war im Internet schon ziemlich viel los.

Journalisten waren freilich noch mit Fernschreibern (Telex) und Teletex unterwegs.

Wer so wenig Ahnung hat, ist nicht in der Position, sich über Seehofer lustig zu machen.

Oder: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht im Web schreiben.

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