Ansichten eines Informatikers

Über Flüchtende und Geflüchtete

Hadmut
12.10.2018 18:29

und warum es sie nicht gibt. [Update: Die Leser widersprechen, Teil 2]

Heute saß ich so beim Mittagessen, und freitags gehe ich immer alleine zum Mittagessen. Freitag ist der Tag, an dem ich beim Mittagessen mehr nachdenke, als an anderen Tagen. Heute ging mir so durch den Kopf, warum das diese Propagandafasellawine, der wir ausgesetzt werden, eigentlich immer so in den Ohren, genauer gesagt in den informationsverarbeitenden Hirnteilen dahinter weh tut.

Ständig dieses Dauergeprassel. Ständig geht es um Flüchtende und öfter noch um Geflüchtete. Flüchtling darf man ja noch weniger sagen als Fußgänger, weil nicht nur „sexistisch”, sondern auch noch fast so patriarchalisch-herablassend wie „Neger”.

Aber warum tut das beim Hören schon so weh?

Weil es die eigentlich gar nicht gibt. Es gibt keine Flüchtenden. Und es gibt damit auch keine Geflüchteten, denn in der Vergangenheit gab es auch schon keine Flüchtenden.

Warum gibt es die nicht?

Weil es das Wort nicht gibt. Es gibt das Verb flüchten nicht. Und weil es das Verb nicht gibt, steht es auch für die Partizipienbildung nicht zur Verfügung.

Fliehen.

Das Wort heißt fliehen.

fliehen, floh, geflohen.

Davon abgeleitet ist das Substantiv Flucht. Abstraktum, hat trotzdem ein Plural: Flüchte. Wie in Ausflüchte. Und davon das Adjektiv flüchtig. Aber keine Rückbildung auf einen neues zweites Verb flüchten. Wozu auch?

Etymologisch:

Flucht1 f. ‘das Fliehen’, ahd. fluht (9. Jh.), mhd. vluht, asächs. fluht, mnd. mnl. nl. vlucht, engl. flight (westgerm. *fluhti-) ist ein mit ti-Suffix und Ablaut gebildetes Abstraktum zu dem unter ↗fliehen (s. d.) behandelten Verb. flüchten Vb. ‘sich oder etw. retten, in Sicherheit bringen, Schutz suchen, fliehen’, ahd. fluhten ‘vertreiben, austreiben’ (9. Jh.), mhd. vlühten, auch ‘ fliehen’. flüchtig Adj. ‘auf der Flucht befindlich’, daher übertragen ‘schnell und ungenau, oberflächlich’, ahd. fluhtīg ‘fliehend’ (9. Jh.), mhd. vlühtec, vlühtic; Flüchtigkeit f. ‘Schnelligkeit’ (16. Jh.), dann ‘Oberflächlichkeit’; verflüchtigen Vb. ‘(sich) in seine Bestandteile, in Dampf auflösen, in gasförmigen Zustand übergehen bzw. überführen’ (18. Jh.), älter ‘fliehen’ (15. Jh.); vgl. mhd. vlühtegen ‘in die Flucht schlagen’ und vervlühtic ‘flüchtig’. Flüchtling m. ‘wer sich auf der Flucht befindet oder geflohen ist’ (17. Jh.). Zuflucht f. ‘Schutz(ort), Unterschlupf, Hilfe’; ahd. zuofluht (8. Jh.), mhd. zuovluht ist Übersetzung von lat. refugium der Bibel und verläßt erst im 14. Jh. den biblisch-religiösen Bereich. Ausflucht f. ‘Ausrede, Vorwand’, in dieser und anfangs noch in der eigentlichen Bedeutung ‘heimliches Entrinnen’ seit dem 15. Jh. belegt; doch vgl. schon ahd. ūʒfluht ‘Flucht, Ausweg zur Flucht, Gelegenheit, sich zu retten’ (8. Jh.) sowie spätmhd. ūʒvliehen ‘entfliehen, sich in Sicherheit bringen’ (14. Jh.)

Deshalb gibt es Flüchtlinge, aber keine Flüchtenden. Höchstens Fliehende und Geflohene. Und mancher Zeitgenosse mit unschönem Profil hat eine fliehende Stirn, aber keine flüchtende.

Deshalb gibt es Fluchthelfer, aber keine Fluchtkraft (auch wenn man Merkel gerne so bezeichnen wollte), es heißt Fliehkraft.

Wenn man mit alten Leuten sprach, die den zweiten Weltkrieg noch miterlebten, dann sind die auch sprachlich nie geflüchtet. Die sind immer nur geflohen. Weil die damals selbst auf der Flucht noch besseres Deutsch sprachen als wir heute.

Wie konnte sich sowas etablieren?

Einerseits, weil wir gar zu leicht dieser Dummenbrigade, genannt Presse, auf den Leim gehen.

Dann, weil der „Diskurs” links und die meisten Linken so doof sind, dass sie sich zu jeder Kategorie nur ein, höchstens zwei (ein gutes und ein schlechtes) Wörter merken können und sie unter Sprachverarmung leiden. Unregelmäßige Wortbildung und mitteldeutsche Grammatik fallen da raus.

Drittens, weil wir systematisch versprachpanscht werden.

Schaut man mal, wo der Mist herkommt, stößt man beispielsweise ausgerechnet auf das Goethe-Institut, das im Oktober 2016 die Linguistin (!) Elisabeth Wehling interviewte, die an der University of California in Berkeley die Bedeutung der Sprache in politischen Debatten „erforscht”. Was man da so unter „forschen” versteht.

Am Anfang hatten wir linguistisch gesehen ein Bild, das wir in der Kognitionsforschung schon seit Jahrzehnten kennen: die Migranten als Wassermasse, die ins Land „strömt“. Das war noch ein recht harmloses Bild. Aber die Intensität nahm immer mehr zu: Flüchtlingswelle, Flüchtlingstsunami. […]

In dem Moment, da man die Flüchtlinge zu Wassermassen macht, werden sie entmenschlicht. Man spricht ihnen die Individualität ab. Dann wird es schwerer, die Empathie zu empfinden, die der Menschenrechtskonvention zugrunde liegt. Wassermassen sind bedrohlich. Wenn Ihr Haus überschwemmt zu werden droht, überlegen Sie nicht, wie Sie das Wasser am besten auf die Zimmer verteilen, sondern Sie schotten sich ab, Sie schichten Sandsäcke auf. […]

Der Mensch, der zu uns kommt und Schutz sucht, ist in der Regel ein Mensch, der nicht ohne Grund kommt. Da ist jemand, der flüchtet vor etwas. Man kann diese Personen auch Flüchtende oder Geflüchtete nennen. Bei Flüchtenden wird hervorgehoben, dass sie immer noch auf der Flucht sind. Bei Geflüchteten denkt man an den Ort, den sie verlassen mussten. Bei Flüchtlingen hat man gedanklich nicht hineingebracht, wovor sie weglaufen, wovor sie flüchten. Außerdem erlaubt das Wort „Flüchtling“ im Deutschen kein Geschlecht. Die Form „die Flüchtlingin“ findet man vielleicht noch bei Goethe, aber heute ist sie ungebräuchlich. Anders: der Flüchtende, die Flüchtende, der Geflüchtete, die Geflüchtete.

So, so.

Bei Flüchtenden wird vor allem hervorgehoben, dass der Sprechende kein Deutsch kann. Aber an der Uni Linguistik und Bedeutung von Sprache lehren.

Und wenn man mal drüber nachdenken würde, dann käme man auch drauf, dass der Mensch, der zu uns kommt und Schutz sucht, kein Flüchtender mehr sein kann, denn entweder ist er noch auf der Flucht, oder er sucht hier Schutz. Beides Zusammen geht nicht. Wenn er hier Schutz sucht, dann ist die Flucht zu Ende.

Von solchen Leuten lassen wir uns die Sprache zerpanschen, auf solches Geschwätz fallen wir rein, solche Leute lässt man an der Universität lehren und hetzen.

Und nein. Das hat Goethe nicht verdient.

Update: Einige Leser widersprechen.

Manche berufen sich auf den Duden, was ich für nicht durchgreifend halte, weil ich ja neulich mal beschrieben habe, dass mit dem Umzug des Duden das Personal ausgetauscht und gegendert wurde. Der neue Duden ist ein Propagandaorgan.

Durchgreifender ist dagegen der Hinweis auf das Wörterbuch der des Genderismus unverdächtigen Gebrüder Grimm, das ebenfalls Flüchten auflistet und auf althochdeutsch fluhtan sowie einen gewissen Schiller verweist.

Mmmh.

Muss ich nochmal drüber nachdenken.

Teil 2: Der nächste Leser kommt, und legt mir Scans von Ost- und West-Duden von 1970 und 1973 vor, die flüchten nachweisen. Und noch einer kommt mit dem Brockhaus.

Scheint, als wäre ich widerlegt.

Sehen wir es positiv: Ich habe Leser, die alles nachprüfen und denen man nichts erzählen kann.