Ansichten eines Informatikers

Völkerpsychologie: Die X-Reaktion

Hadmut
4.4.2018 22:11

Jetzt mal ein Rätsel.

Ich möchte dem geneigten (und diesmal noch mehr dem feindlichen) Leser einen Text vorstellen und den Leser bitten, sich eine Meinung darüber zu bilden.

Über die Anthropologie des Fremdenhasses: Menschen bilden Ethnien: Wer ist das Volk?

Was „die Biologie“ oder besser: die naturwissenschaftliche Anthropologie zu den leider oft heiklen Gruppenbeziehungen des Menschen zu seinen fremden Artgenossen sagt, ist etwa das folgende. In den Jahrhunderttausenden, die ihn geformt haben, wurde der Mensch in eine kleine Gruppe hineingeboren, die nur zusammen überlebensfähig war und außerhalb derer der einzelne kaum eine Chance hatte. Der Zusammenhalt dieser Gruppen mußte über die Generationen hin gesichert werden; und das geschah, indem die Evolution Gefühle hervorbrachte, die dem, was notwendig war, entgegenkamen. So bildete sich ein emotionaler Unterbau heraus: ein Bias, eine positive Voreingenommenheit der eigenen Gruppe gegenüber, gepaart mit einem mißtrauisch kategorisierenden Blick, der schnell und sicher den Angehörigen einer auch nur minimal fremden Gruppe zu erkennen wußte, einem leichten inneren Alarm, bereit, rasch in Angst oder Haß umzuschlagen. Diese Reaktion – nennen wir sie die X-Reaktion – ist uns im Baum unserer Motive geblieben, ein Gattungsmerkmal sozusagen. Zu ihrer Zeit war sie sinnvoll; heute, da es die eine, zwingende Gruppe für kaum jemanden noch gibt und alle unter Fremden und Fremdesten leben müssen, ist sie ein emotionaler Atavismus. Um nicht so leicht auf ihn hereinzufallen, ist es besser, von ihm zu wissen.

So gut er auch gemeint ist: der Begriff „multikulturell“ läßt das Problem harmloser aussehen, als es wirklich ist. Er tut so, als ginge es in der „multikulturellen Gesellschaft“, zu der uns in der Tat gar keine Wahl bleibt, lediglich darum, ein paar einander fremde Kulturtraditionen miteinander bekannt zu machen und wo nötig zu versöhnen. Anderswo weiß man längst, daß wir es mit einem sowohl tieferen als auch weiteren Problem zu tun haben: dem der Multiethnizität.

„Ethnisch“ mag man in Deutschland und nur hier nicht sagen, weil es fast klingt wie das „völkisch“ der Nazis. […]

Genau darum ist der von dem Ethnologen Wilhelm Mühlmann 1964 eingeführte Begriff der „Ethnie“ nützlich. Er ist frei von solchen Anmaßungen. Er bezeichnet schlicht „die größte feststellbare souveräne Einheit, die von den betreffenden Menschen selbst gewußt und gewollt wird“, und läßt offen, womit die Menschen diese ihre ethnische Identität definieren, dem Aussehen, der gemeinsamen Geschichte, der Konfession, der Sprache, dem Brauchtum. Im Gegensatz zum Begriff der Multikulturalität drückt der der Ethnie jedoch aus, daß es sich nicht unbedingt nur um eine im weitesten Sinn kulturelle Identität handeln muß. Auch die genetische Identität kann eine Rolle spielen. Sie offenbarte sich einmal natürlich im Aussehen, zum andern aber auch in jenen Aspekten des Charakters, die genetisch mitbegründet sind. […]

Völkerpsychologie ist nicht zu Unrecht so oft bespöttelt worden, daß wir in unseren theoretisch abgehobenen Momenten heute meinen, es gäbe prinzipiell gar keine psychischen Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungen. […] Dieselben Leute, die theoretisch jeden Charakterunterschied zwischen Nord- und Südeuropäern abstreiten, fahren begeistert nach Kreta, weil die „Südländer“ dort so angenehm locker und extrovertiert sind.

Die X-Reaktion, wenn es sie denn gibt, ist also eine Reaktion auf jede fremde Gruppenzugehörigkeit, und wenn irgend etwas die Brillenlosen dazu bewegt, sich als Gruppe zu verstehen, wird ihr Mißtrauen allen Brillenträgern gelten, so wie im sozialpsychologischen Experiment abwechselnd die blau- und die braunäugigen Kinder einer Schulklasse mühelos dazu gebracht wurden, auf die jeweils andere Gruppe verächtlich herabzusehen. Die größtmögliche Gruppe, der der einzelne durch Loyalität verbunden ist, ist per definitionem die Ethnie. Die größten und beharrlichsten Konflikte sind darum die ethnischen. […]

Für die Art, wie wir über unser eigenes großes Problem denken und reden, gibt das alles nicht allzuviel her. Einige bescheidene Konsequenzen jedoch scheinen nahezuliegen.

  • Natürlich können wir unser nationales Selbstverständnis statt ethnisch staatsbürgerlich (Habermas) oder verfassungspatriotisch oder wie auch immer definieren. Wir dürfen uns nur nicht einbilden, es sei nur eine adrette Definition nötig, und schon ändere sich auch das Fühlen und Erleben der Menschen entsprechend; oder ethnisches Kategorisieren ließe sich durch bloßes Definieren aufheben. Je heftiger wir es heute verleugnen, um so unkontrollierter könnte es eines Tages wieder hervorbrechen.
  • […]
  • Der eigenen Ethnizität entgeht niemand. Sie ist das, was jeder Mensch auf der Welt versteht und erwartet. Die Hoffnung mancher Deutscher, sie könnten irgendwie ihr Deutschtum ablegen und schnurstracks zu Europäern oder Weltbürgern, schlicht, zu Menschen werden, ist trügerisch. Für all die anderen unangekränkelten Ethnien rundum bleibt der Deutsche, der seine Ethnizität ablehnt, nur ein typischer Deutscher, wenn auch von jener sonderbaren Sorte, die sich selbst haßt. Den Nachbarn ist dieser deutsche Selbsthaß genausowenig geheuer wie die deutsche Selbstüberhebung, und zu Recht, denn beides ist die Folge eines lädierten kollektiven Selbstbewußtseins, das uns unberechenbar macht. Zwar ist der deutsche Selbsthaß, den die jüngere deutsche Geschichte vielen beigebracht hat, verständlich. Aber als Norm kann er dem ganzen Volk nicht auferlegt werden.
  • „Wir sind doch alle eine Familie“? Wo atavistische Affekte auf der Lauer liegen, täte Realismus not; und realistisch wäre es, die unterschiedlichen Distanzen zwischen unterschiedlichen Ethnien nicht zu über-, aber auch nicht zu unterschätzen. Wenn alles fremd ist, Sprache, Religion, Aussehen, Brauchtum, Charakter, wird eine Integration sehr viel schwieriger als beispielsweise im Musterfall von Polen und Deutschen zu Anfang dieses Jahrhunderts.
  • […]
  • „Liebe Ausländer, laßt uns mit den Deutschen nicht allein“? Auch den Deutschen wäre das Bedürfnis nach ihrer Ethnizität zuzugestehen, der sie nicht entrinnen können, egal wie sie sich „definieren“.
  • „Jeder ist fast überall ein Ausländer“? Ja, aber eben nur „fast“ – und es ist kein verächtlicher Wunsch, sich nicht auch zu Hause als Ausländer vorkommen zu müssen. Er ist nur menschlich und noch lange nicht dasselbe wie nationalistischer Taumel; darum sollte er auch nicht als solcher diffamiert werden.
  • Die ethnische Absorptionsfähigkeit darf nirgendwo überfordert werden, sonst handelt man sich genau jene Katastrophe ein, die man exorzieren will. „Die Blutspur führt ins Parlament“? Es ist nicht die Begrenzung des Ausländerzuzugs, die die Ausländerfeindlichkeit geschürt hat. So hart es viele von uns ankommt: Eine Begrenzung des Zuzugs ist sogar die Vorbedingung dafür, daß der Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit nicht von vornherein verloren ist.

Wie wirkt dieser Text?

Nun, einige dieser Aspekte hatte ich hier im Blog ja auch schon angesprochen. Offenkundig ist der Text nicht nur migrationskritisch, sondern vor allem migrationsbefürworterkritisch. Und es ist ein Text, für den man heute Gefahr läuft, von den Medien gekreuzigt zu werden.

Stellt Euch vor, jemand etwa von der CDU oder gar der AfD würde so etwas schreiben. Wie wäre die Reaktion? Zeter und Mordio, man würde das Wiederauferstehen der Nazis beschreien, vermutlich würde die Antifa in der nächsten Nacht das Auto abfackeln.

Woher also stammt dieser Text?

Ein Leser hat ihn ausgebuddelt. Der Text stammt aus der ZEIT, und zwar vom 23.7.1993. Damals ging es um Skinheads, die Asylantenheime angezündet und sich vor der Kamera gefeiert hatten. Damals sah man das kritisch in dem Sinne, dass Multikulti (Grüße von der Amygdala) zu solchen Reaktionen führt, weil man eben evolutionär Verhaltensweisen erworben hat und Multikulti diesen Verhaltensweisen diametral entgegenläuft, Menschen permanent unter Stress und in eine Angriffs-/Verteidigungssituation stellt.

25 Jahre später hat sich die Presse gedreht, heute würde die Pressemeute, vor allem die erzlinke ZEIT, jeden als rechtsradikal an die Wand nageln, der das sagt, was die ZEIT selbst damals schrieb.

Man sieht aber nicht nur diese 180°-Drehung. In diesem Text wurde immerhin sachlich argumentiert, auf Evolution verwiesen, eine plausible, nachvollziehbare Erklärung gegeben. Heute gibt es nur noch Gekreische, Hetze und Beschuldigung. Die ZEIT ist im politischen Bereich nicht mehr in der Lage, einen intellektuellen, kritischen Standpunkt einzunehmen. Es zeigt eben auch, wie man oder wie sich die Presse in 25 Jahren verändert und gewendet hat. Und wie sie intellektuell abgebaut hat. Die sind noch nicht mal in der Lage, sich auf einem Wissensstand zu halten, den sie schon mal hatten. (Der Text bei der ZEIT ist hinter einer Anmeldeschranke. Ich habe das erst gar nicht gemerkt, weil der Textbrowser lynx sich da nichts draus macht und den einfach anzeigt.)

Und es zeigt auch, welchen Schaden Gender, Soziologen und Political Correctness hinterlassen.