Ansichten eines Informatikers

DDR und nicht DDR

Hadmut
20.3.2018 22:41

Jetzt hab ich aber die Faxen dicke! [Nachtrag 2! ]

Langsam gehen mir die Ossis echt auf den Wecker.

Ja, ich bin ein Wessi. Und ich habe die echte DDR weniger als 12 Stunden von innen miterlebt, ich war zur Abi-Fahrt 1984 eine Woche in Westberlin (und habe damals die Pink Floyd-Lasershow am Wannsee gesehen, deshalb kann ich das Datum noch eingrenzen), und dabei auch einen Tag in Ostberlin verbracht. Und nach der Wende habe ich 4 Jahre in Dresden gearbeitet und mir dort von den Ossis viel erzählen lassen. Und diverse Museen habe ich besucht.

Es mag sein, dass ich mich nicht so wirklich fundiert zur DDR äußern kann und das nie miterlebt habe, und nur wiedergebe, was mir jemand erzählt oder ein Leser zugeschrieben hat.

Es geht mir aber fürchterlich auf den Wecker, dass mir jedesmal, wenn ich irgendwas über die DDR schreibe, sowohl Leser schreiben, die mir bestätigen, dass ich Recht habe, und es eigentlich noch viel schlimmer war, als auch andere Leser schreiben, ich hätte keine Ahnung, stimmt ja gar nicht, ich solle nicht so einen Mist reden, Wessis sollten aufhören, über die DDR zu schwafeln, und es war eigentlich alles gut.

Der erste Punkt, der mir dazu einfällt: Einigt Euch doch erst mal untereinander.

Mein zweiter Gedanke: Dafür, dass der Mauerfall inzwischen fast 30 Jahre her ist, gibt es verblüffend viele Leute, die sich noch ganz sicher sein wollen, wie das damals war und wie nicht. Ich glaube aber, dass jemand, der das überhaupt noch voll und in jeder Tiefe erlebt haben will, heute mindestens 65 oder 70 Jahre alt sein müsste.

Mein dritter Gedanke: Man kann wissen und behaupten, dass etwas passiert ist, wenn man davon weiß. Man kann aber nicht behaupten, dass etwas nicht passiert ist, wenn man davon nicht weiß oder es nicht erlebt hat. Die waren enorme Geheimniskrämer. Mir wurde in einem Stasimuseum mal von einem Betroffenen gesagt, dass in einer Musikband gleich zwei verdeckte Stasi-Leute („inoffizielle Mitarbeiter”) eingeschleust worden waren, die voneinander nichts wussten, damit die sich auch gegenseitig überwachen und übereinander berichten. Und es gibt ja nun jede Menge Leute, die ihre Stasi-Akte eingesehen haben und darin allerlei gefunden haben. Oder die in Gefängnissen wie Hohenschönhausen gelandet sind. Hohenschönhausen sah man von außen auch nicht an, dass es ein Gefängnis war, trotzdem war es eines. Erst neulich haben sie irgendwo noch eines neu gefunden. Es gab auch getarnte Kasernen.

Wie kann man da behaupten, dass es in der DDR keine inoffiziellen Mitarbeiter gegeben hätte, die andere überwacht haben?

Mein vierter Gedanke: Wer hat eigentlich ein Interesse daran, die DDR nach 30 Jahren noch zu verteidigen? Warum gibt es heute Leute, die darauf hinweisen, dass es das nicht gegeben habe?

Das mit den Mitarbeitern ist schon etwas länger her. Gerade ging es darum, dass ich neulich geschrieben habe, dass mir mal jemand aus der DDR geschrieben hat, dass Akademiker auch nicht mehr Geld verdienten, weil man ihnen vorhielt, dass sie ja schon die Universitätsausbildung kostenlos bekommen hätten. Nun schreibt mir ein anderer, das stimme nicht, Akademiker hätten selbstverständlich mehr Geld bekommen. (Kollegen in Dresden erzählten mir mal, dass es ziemlich egal war, wieviel Geld man bekommen hat, weil die Grundbedürfnisse jeder erfüllt bekommen hat und man sich sonst für das Geld nichts kaufen konnte.)

Also nachdem es sowieso egal ist, was ich schreibe, und ich immer Bestätigung und Du-hast-ja-keine-Ahnung-Ablehnung bekomme, schreibe ich künftig dazu, was ich für richtig halte.

Nachtrag:

Einige Leser haben mir geschrieben, dass ich mir gerade selbst widersprochen habe, weil ich zwei Artikel vorher noch den Rashomon-Effekt beschrieben und als zum Medienkompetenzwetzen geeignet eingestuft habe, und jetzt dagegen schreibe, dass verschiedene Leute dasselbe unterschiedlich sehen würden.

Das habe ich beim Schreiben nicht gemerkt, das kann tatsächlich so wirken. Es ist aber kein Widerspruch und so war es auch nicht gemeint.

Was mir an der Sache so auf den Wecker geht, ist nicht, das verschiedene Leute die Sache verschieden sehen, sondern dass mir die DDR-Verteidiger oft sehr oberlehrerhaft schreiben, ich als Wessi könne das nicht beurteilen und dürfe das also erst gar nicht schreiben. Es geht nicht um verschiedene Sichtweisen, sondern um diese Schreibverbote und diese Sichtweise „Ich bin gelernter Ossi, also weiß ich die ultimative Wahrheit über die DDR”. Und mir ging es darum (vielleicht habe ich es nicht so klar formuliert), dass es eben nicht den Super-Ossi gibt, der alles und alles besser weiß, sondern dass selbst unter den „gelernten Ossis” ganz unterschiedliche Auffassungen herrschen, das Argument „Ich habe in der DDR gelebt” also nicht so sonderlich zieht.

Das zweite, was mir auf den Wecker geht, ist ja eben nicht, dass es wie in Rashomon um einen einzelnen Vorgang geht, den verschiedene Augenzeugen angesehen haben und unterschiedlich beschreiben. Sondern hier geht es darum, dass die Leute ihr Privatleben auf die ganze DDR verallgemeinern, nach dem Motto „Was mir nicht widerfahren ist, kann auch keinem anderen widerfahren sein”. Nur weil sie meinen, sie persönlich seien nicht überwacht oder eingeknastet worden, könne es auch keinem anderen passiert sein und jeder sei ein Lügner, der das behauptet. Anders als bei Rashomon gibt es eben keinen einzelnen Vorgang mit verschiedenen Zeugen.

Das Dritte ist eine gewisse Naivität. Diese Denkweise, „Ich habe keine Stasi-Mitarbeiter gesehen, also gab es auch keine, nie und nirgends”. Muss ich dazu noch was sagen?

Nachtrag 2: Mehrere Leser haben mir zur Gehaltssituation geschrieben. Akademiker hätten brutto deutlich mehr bekommen, seien aber auch pauschal höher als Arbeiter besteuert worden, weshalb der netto-Unterschied nicht mehr deutlich gewesen sei. Und mit mehr Geld hätte man halt mehr in den Ostblock reisen können, also schon einen gewissen Vorteil gehabt.