Ansichten eines Informatikers

Böse, böse, böse Polen!

Hadmut
6.4.2016 21:47

Ohhh, unser deutscher Luxusjournalismus zeigt uns auf, wie schlimm es um die Demokratie in Polen bestellt ist und was für finstere Mächte ihr Unwesen treiben: Wie das System Kaczynski das Land verändert Mit der überzeugenden Begründung:

Man braucht schon viel Fantasie, um sich folgendes Szenario in Deutschland vorzustellen: Die Bundesregierung entmachtet das Verfassungsgericht, steuert die öffentlich-rechtlichen Medien und verunglimpft politische Gegner aufs Übelste. In Polen ist das Realität. Das System Kaczynski höhlt demokratische Rechte aus. Massenproteste? Fehlanzeige. Viele Polen reagieren mit Desinteresse.

Ähhh… Moment mal.

Ist das nicht exakt das, was ich hier im Blog seit vier Jahren über Deutschland schreibe?

Verfassungsgericht sabotieren, Medien steuern, politische Gegner verunglimpfen, demokratische Recht aushöhlen, fehlende Massenproteste – ist das nicht exakt das Prinzip von Merkel-rot-grün? Ist das nicht das, was ich fast täglich hier beschreibe?

Und da kommen die mit „viel Fantasie”?

Finde ich mal wieder sagenhaft, wie unsere Presse üble Diktaturen diagnostiziert, bei uns selbst aber davor erblindet. (Klar, ist ja gesteuert…) Hatten wir doch gerade vor ein paar Tagen erst auch bei Russen.

Hören wir mal noch rein, wie es da weitergeht:

“Unter dem Deckmantel des Antiterrorkampfes wird die Regierung die totale Überwachung einführen, wie bei Orwell.”

Stimmen, die in Polen immer häufiger zu hören sind. Wer das System Kaczynski störe, sagen Regierungskritiker, werde – wie das Verfassungsgericht – lahmgelegt oder – wie die öffentlich-rechtlichen Medien – im Handumdrehen gleichgeschaltet. Wer sich zum gefährlichen Gegner entwickeln könnte, wird diffamiert. Und damit es keine unangenehmen Überraschungen gibt, sollen Polizei und Geheimdienste ohne richterliche Genehmigung alles über jeden erfahren können. Deshalb der Protest, deshalb die zahlreichen Demonstrationen.

Hehe, jo. Passt.

Jede Konkurrenz zum bestehenden Parteienblock wird sofort niederdiffamiert.

Es geht unter anderem um das jüngste Urteil des Verfassungsgerichts. Ein Richterspruch, der die vom Parlament verabschiedete Justizreform der nationalkonservativen Regierung in den meisten Punkten für verfassungswidrig erklärt. Premierministerin Beata Szydlo weigert sich, das Urteil anzuerkennen. Eine Veröffentlichung im Gesetzesblatt ist nicht geschehen – was eigentlich verpflichtend ist. Ein Fehler, meinen Verfassungsexperten nicht nur in Polen. Auch Juristen des Europarates, konkret: Mitglieder der sogenannten Venedig-Kommission, sind der Ansicht, dass die Weigerung, das Urteil zu veröffentlichen, demokratische Rechtsnormen verletze.

Haben wir auch. Läuft ein bisschen anders, sie schwindeln ihre Agenten in das Bundesverfassungsgericht, die Beschwerden gegen das System dann einfach ohne Begründung abweisen, aber das Ergebnis ist das Gleiche. Und die Presse schweigt dazu.

“Immer mehr Menschen im Radio und Fernsehen verlieren ihre Arbeit”

Eine Erklärung, die dem nunmehr für öffentlich-rechtliche Medien zuständigen Minister offenbar nicht ausreichte. Kamil Dabrowa wurde fristlos gefeuert. Was auch als Warnung an andere Redakteure gelten soll, es ja nicht zu wagen, die neue Regierung und ihre Maßnahmen offen und deutlich zu kritisieren. Jene, die sich nicht daran halten werden, sagt der ehemalige Direktor des öffentlich-rechtlichen Radios, müssten nun mit einer Kündigung rechnen, sofern dies nicht ohnehin bereits geschehen sei.

Fast wörtlich das, was mir einige Journalisten und Verleger sagten, als ich damals versucht habe, die Vorgänge um die Uni Karlsruhe über Presse oder ein Buch zu veröffentlichen.

Und was wir offenbar auch heute haben: Wer nicht exakt auf Feminismus getrimmt ist, fliegt im ÖR raus.

Für Kritiker der Partei “Recht und Gerechtigkeit” nur ein weiterer Beleg dafür, dass die Nationalkonservativen selbst vor fragwürdigen Methoden nicht zurückschrecken, um potenzielle Gegner kalt zu stellen. Genau dazu soll ihrer Ansicht nach auch das neue Polizeigesetz dienen. Damit werden den Verfolgungsbehörden weitreichende Befugnisse eingeräumt – unter anderem bei der Überwachung von Telefongesprächen und der Kontrolle des Internets. Der parlamentarische Beauftragte für Bürgerrechte, Adam Bodnar, hält das juristisch für höchst bedenklich:

“Es ist ein Eingriff in die Privatsphäre. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird verletzt. Polizei und Geheimdienste können zwar bei konkreten Verdachtsmomenten eine Überwachung gerichtlich beantragen, aber es kann nicht sein, dass man diese Daten fast ohne Kontrolle sammelt, nur um Verbrechen vorzubeugen.”

Vergleicht das mal mit der Facebook-Zensur durch Maas. Da werden ja auch schon politische Inhalte überwacht und ausgefiltert.