Ansichten eines Informatikers

Model Release

Hadmut
29.8.2012 11:20

Juristisch korrekt oder realitätsfern?

Das Thema hatte ich hier ja auch schon öfter: Einverständniserklärungen von Personen auf Personenfotos.

Interessanter Bericht auf Golem.de, vor allem die Links sind interessant und führen auf weitere Webseiten mit Links, Mustern usw.

Die hiesigen Agenturen und Verlage sind inzwischen überaus pingelig, was das angeht, nachdem man mit der Publikation von Fotos mit Menschen ohne deren Einverständnis hierzulande viel Ärger bekommen kann.

Selbstverständlich ist, dass man das Einverständnis der Leute einholt, wenn die Leute im Mittelpunkt des Fotos stehen und nicht nur zufällig irgendwo im Hintergrund herumlaufen. Nur: Es hat mit der Realität nicht viel zu tun.

  • Ich habe schon häufig mit Juristen darüber diskutiert, und nie eine wirklich eindeutige und belastbare Aussage darüber bekommen, welches Recht überhaupt anzuwenden ist – und das schon bei Fotos von Häusern. Es gibt nämlich nicht in jedem Land eine volle Panoramafreiheit. In Dubai etwa gibt es sie nur für alte, historische Gebäude, aber nicht für moderne. In Australien wurde angeblich eine Beschränkung für einige Naturparks und Landmarks wie das Sydney Opera House eingeführt, zumindest gab’s mal Krach darüber. In Frankreich darf man den Eifelturm bei Tag, aber nicht bei Nacht frei fotografieren und abbilden, weil die Beleuchtung als Kunstwerk geschützt ist. Welches Recht gilt aber? Das des Landes, in dem das Gebäude steht oder das, in dem das Bild veröffentlicht wird? Die einen sagten, es komme auf die Entstehung des Bildes an, weil man quasi die Rechte an dem Bild von der Reise mit nach Hause bringen muss. Die anderen sagen, es komme auf den Ort der Publikation an, weil dabei das fragliche Recht in Anspruch genommen wird. Mir fällt der Fachbegriff dazu gerade nicht ein, Ortsprinzip oder so ähnlich. Was aber ist der Ort der Publikation? Publiziert man über CreateSpace, ist er formal in den USA. Alles was man in Deutschland publiziert, wird immer nach dem Worst Case Hamburg beurteilt. Und selbst wenn es so wäre, hebt es die Frage auf die Meta-Ebene: Welches Recht besagt denn überhaupt, welches Recht anzuwenden ist? Die Deutschen werden sagen, dass grundsätzlich immer auch Hamburger Landrecht anzuwenden ist. US-Gerichte halten sich aber auch für zuständig für alles. Religiös orientierte Staaten fragen gar nicht erst nach Zuständigkeiten. Wer sagt, dass ein solcher Model-Vertrag in dem jeweiligen Land überhaupt als rechtswirksam angesehen wird?

  • Es ist völlig unrealistisch zu erwarten, dass man in einem fremden Land (oder gar in Deutschland) den Leuten ein Papierwerk auspacken und mit ihnen Verträge abschließen kann. Viele Leute sind mit dem Foto einverstanden (und dafür gilt hierzulande keine Schriftformsanforderung, eine mündliche oder konkludente Einverständniserklärung reicht im Prinzip), aber denken nicht daran, irgendwelches Papierzeugs, was nach Rechtsproblemen und Rechteabtretung aussieht, zu unterzeichnen. Das macht man mit Models im Studio, aber nicht mit Leuten auf der Straße.

  • Es stimmt nicht mal mit deutschem Recht überein. Denn nach deutschem Recht gilt das Einverständnis auch als erteilt, wenn jemand Geld dafür angenommen hat. Die Höhe des Betrages spielt keine Rolle. In vielen Ländern ist es üblich, dass Leute auf der Straße sich gerne fotografieren lassen, und dafür ein paar Münzen haben wollen, und das war’s. Nach deutschem Recht ist damit ein konkludenter Vertrag geschlossen bzw. die Einwilligung im Zweifel erteilt (§ 22 Kunsturhebergesetz). Wenn also Leute posieren und die Hand dafür aufhalten, reicht das nach deutschem Recht. Die Frage ist, wie man es im Streit beweist. In der Realität läuft es aber nicht so, dass man mit den Leuten erstmal schriftliche Verträge abschliesst. Leuten, denen man vorher ein paar Kröten in die Hand drückt, lachen in die Kamera. Ratet mal, wie Leute in die Kamera gucken, die gerade einen Vertrag unterzeichnen sollten, den sie nicht verstanden haben. Davon abgesehen stört der Vertrag im Bild. Himba-Krieger in der Namibischen Wüste, in der einen Hand den Speer, in der anderen Hand den Model-Vertrag. Sieht beknackt aus.

  • Eine Menge Leute lassen sich unheimlich gerne fotografieren und haben einen Riesen Spaß beim Posen, und auch überhaupt nichts dagegen, abgedruckt zu werden, wollen aber nicht ihren Namen und ihre Anschrift preisgeben. Das Problem am Vertrag ist, dass es von der abgelichteten Person weitaus mehr abfordert als die Freigabe des Bildes, nämlich die Preisgabe der Identität, und das sehen viele Leute gänzlich anders. Das ist die Stelle, an der für viele der Spaß aufhört. Das machen sie nicht. Ein Kopfnicken, das Annehmen von Geld, ein kurzes Gespräch kann – bezüglich des Namens und der Anschrift – anonym erfolgen. Ein Vertrag nicht.

  • Es ist ein steuerliches/rechtliches Problem. Es gibt Leute, die sich häufig an bestimmten Orten aufhalten und deshalb häufig fotografiert werden, und damit auch kein Problem haben. Würden sie aber jeden Tag 10 oder 20 Verträge abschließen, hätten sie nicht nur Berge von Unterlagen (wo sollen die das eigentlich lagern?), sondern müssten sich auch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit vorhalten lassen.

  • Was ist, wenn ich die Landessprache nicht kann oder die Leute kein Deutsch/Englisch verstehen? Wenn da jemand was in Chinesisch, Arabisch, Thai oder was auch immer hinschreibt, woher weiß ich, ob er seinen Namen oder „Du Idiot!” da hingeschrieben hat? Und woher weiß derjenige, was er da unterschreibt? Warum werden Model Releases als Muster immer nur in Englisch und nicht als Satz inhaltsgleicher und juristisch geprüfter Vorlagen für alle Sprachen/Länder der Welt angeboten? Schon im Nachbarland Schweiz gibt’s auch Leute, die die Amtssprache deutsch zwar verstehen, sie aber nicht verstehen wollen.

  • Was macht man mit Leuten, in deren Kultur und Sprache es keine Schrift gibt? Bei den australischen Aborigines gibt es keine Schrift und keine schriftlichen Verträge. Klar können die alle englisch und fast alle lesen und schreiben. Das heißt aber nicht, dass sie das wollen. Sie könnten den Standpunkt vertreten, dass sie zwar problemlos verstehen, was da steht, es aber nicht in ihren Lebensstil passt. Nach dem Motto „Mach Fotos soviel Du willst, aber lass mich mit dem Papierquatsch in Ruhe!”

  • Was macht man mit Analphabeten? Welches Geburtsdatum trägt jemand ein, der nicht weiß, wann er geboren ist?

  • Wann gilt jemand überhaupt als volljährig und vertragsfähig? Es gibt Kulturen, in denen es das Prinzip der Volljährigkeit nicht gibt.

Irgendwie erscheinen mir diese Model-Release-Anforderungen immer etwas weltfremd, um nicht zu sagen arrogant und kollonialistisch, weil damit immer das lokale Rechtsverständnis auf die ganze Welt ausgedehnt wird.

Das Problem ist nicht gelöst.

Es erstaunt mich allerdings, dass es jetzt Model-Verträge per iPhone-App gibt, die angeblich anerkannt werden. Sicherheitstechnisch halte ich nämlich diese ganze Vertrags-/Erklärungsnummern auf digitalisierte Weise (nicht zu verwechseln mit kryptografisch!) für rechtlich/beweistechnisch gesehen ungenügend. Wenn man bei Metro die Lastschrift oder bei der Post den Empfang eines Paketes auf dem Pad unterschreibt, halte ich das noch für gerechtfertigt, weil man damit eine Denkstütze und einen gewissen Verwechslungsschutz hat, und weil für die die Einsparungen einfach deutlich größer als das kalkulierbare Risiko sind, im Streit zu unterliegen. Betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Unsicherheit, Risk Management eben. Das ist bei Model Releases aber nicht der Fall, da geht es um hartes Recht und nicht um Betriebswirtschaft.

Ich halte es für unlogisch, einerseits schriftliche Model Releases zu verlangen, andererseits aber iPhone-Apps zu akzeptieren.

Würde mich mal interessieren, wie groß der Anteil der Model Releases ist, die von den Fotografen oder Agenturen gefälscht werden, und derer, in denen die abgebildeten Personen falsche Namen angeben. Und wieviele der Releases jemals tatsächlich überprüft und im Streit verwendet wurden.

Mir kommt nämlich irgendwo auch der Verdacht, dass es da nicht nur um Urheberrecht geht sondern auch um eine Abgrenzung von Profi- gegenüber Amateurfotografen. Seit die qualitativen Unterschiede verschwimmen, müssen womöglich künstliche herhalten.

11 Kommentare (RSS-Feed)

slowtiger
29.8.2012 11:28
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Uhm, die meisten deiner Fragen werden gegenstandslos, solange du in Deutschland fotografierst?

Ansonsten kommt der ganze Schamott nur daher, daß zur Zeit der Entstehung des Gesetzes eigentlich nur professionelle Fotografen irgendwas veröffentlichten. Hier hinkt das Recht mal wieder 40 Jahre hinterher. Es wurde schon mehrfach in Diskussionen darauf hingewiesen, daß die vielgerühmte Straßenfotografie des frühen 20. Jhts heute bei Beachtung aller Gesetze völlig unmöglich wäre.


Hadmut
29.8.2012 11:31
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> Uhm, die meisten deiner Fragen werden gegenstandslos, solange du in Deutschland fotografierst?

Nein, nur manche, die nach dem anzuwendenen Recht.


c.k.
29.8.2012 14:33
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Aus der Praxis heraus:
Gesunder Menscheverstand, normaler Umgang (fragen, freundlich sein) am besten mit Zeugen. Auf das Beste hoffen und ein paar 1000er in der Kriegskasse haben. Alles andere ist praxisferner Blödsinn. Zumindest so lange man redaktionell arbeitet. Wo kein Kläger da kein Richter.
Bei Werbung würde ich mich eher absichern, weil da die Strafen/Honorare wesentlich knackiger sind.
Ich kennen niemanden der das anders handhabt.


yasar
29.8.2012 15:40
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Ich stelle mir gerade vor: Man sitzt am Strand und will alle möglichen Fotos machen, die man womöglich später mal vermarkten will, aber vondenen man weiß, daß die meisten eh nie über das persönliche Fotoalbum hinauskommen. Und dann soll man hingehen, und jedem der am Strand herumrennt einen vertrag in die Hand drücken?

Irgendwie unrealistisch.


Jens
29.8.2012 20:07
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“Würde mich mal interessieren, wie groß der Anteil der Model Releases ist, die von den Fotografen oder Agenturen gefälscht werden,”

Haja. Bei Copyright-Übertragungen an Verlage überprüft ja auch niemand, ob der unterschreibende Doktorand tatsächlich zeichnungsberechtigt für das Land Baden-Württemberg oder das Karlsruher Institut für Technologie ist …


Hanz Moser
29.8.2012 21:32
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“Betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Unsicherheit, Risk Management eben. Das ist bei Model Releases aber nicht der Fall, da geht es um hartes Recht und nicht um Betriebswirtschaft.”

Ich sehe den großen Unterschied nicht.
Natürlich ist es für einen einzelnen Fotografen doch ein etwas höheres Risiko als für einen großen Konzern, aber all zu groß dürfte die Wahrscheinlichkeit auch nicht sein, dass jemand später sein Einverständnis leugnet. Vor allem nicht, wenn es nicht nur mündlich, sondern in irgendeiner Form materiell gegeben wurde. Selbst wenn eine Unterschrift auf einem iPad wertlos ist, die Hemmschwelle zum Lügen wird erheblich höher wenn man erwarten muss, dass einem andere nicht glauben.

Wieviel Text ist eigentlich in so einem Model Release?
Praktisch jede DSLR kann ja heute Videos aufnehmen und hat ein eingebautes Mikro. Lass die Kamera laufen, lies es vor und frag, ob sie einverstanden sind.


HaSi
30.8.2012 0:11
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“Würde mich mal interessieren, wie groß der Anteil der Model Releases ist, die von den Fotografen oder Agenturen gefälscht werden, und derer, in denen die abgebildeten Personen falsche Namen angeben. Und wieviele der Releases jemals tatsächlich überprüft und im Streit verwendet wurden.

Mir kommt nämlich irgendwo auch der Verdacht, dass es da nicht nur um Urheberrecht geht sondern auch um eine Abgrenzung von Profi- gegenüber Amateurfotografen. Seit die qualitativen Unterschiede verschwimmen, müssen womöglich künstliche herhalten.

Mmh. Diesen Schluss verstehe ich ganz ehrlich nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Das Problem betrifft doch beide Seiten, also Amateure genauso wie Profis. Ich betrachte mich zwar nicht als Profi, weil ich die Fotografie nur als Nebengeschäft betreibe, aber dennoch stehe und stand ich vor exakt diesem Problem, nämlich, dass ein Model nachträglich den Modelvertrag angezweifelt hat. Als Profi, also Vollzeitfotograf, hätte ich genau das gleiche Problem gehabt – und auch genau so gelöst. Nämlich: verzichten auf den Rechtsstreit und Löschen der Bilder in den Agenturen.

Kannst Du die Conclusio noch etwas näher erläutern?


Hadmut
30.8.2012 0:17
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Wenn 20 Leute über die Pennystock-Agenturen und die Web-Portale Bilder einreichen, beispielsweise von irgendwem beim Eis-Essen, dann sind es mit hoher Wahrscheinlichkeit die Profis, die eine Freigabe haben und die Amateure, die es nicht haben. Das gehört halt zu professionellem Arbeiten. An der Bildqualität kann man Profis und Amateure heute oft nur schwer auseinanderhalten. An solchen Zusatzeigenschaften schon.


Deckname
30.8.2012 1:23
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Gucki mal, Hadmut. Du bist ein ganz böser Frauenhasser. 🙂
http://forum.emma.de/showthread.php?7804-Frauenhass

Viel “Spass” beim lesen.


yasar
14.9.2012 20:31
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Artverwandt ist auch das:

http://kurier.at/kultur/4511705-dsds-pensionist-klagt-rtl-nach-verspottung.php

Da wurde ein Urlauber zufällig (?) aufgenommen und dann in der Sendung DSDS verwurstet.

Leider steht nicht dabei, ob die vorher mit dem einen Vertrag ausgehandelt haben, aber aus dem Bericht läßt sich schließen, daß RTL das anscheinend nicht gemacht hat.


yasar
23.9.2012 14:46
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Aktuell in der c’t 21/2012 über (Rechts-)Fallen beim Fotografieren

http://www.heise.de/ct/artikel/Fotofallen-1711494.html