Ansichten eines Informatikers

Ich kriege gerade eine Identitätskrise

Hadmut
9.3.2011 18:58

Mir geht nämlich eine Frage durch den Kopf.

Wieviele der Atome oder auch ganzer Moleküle meines Körpers tausche ich durch Stoffwechsel (der Name sagt ja schon, was die Identität in Frage stellt) im Laufe eines Tages, eines Jahres oder auch seit der Geburt aus?

Wenn ich trinke, esse, atme, schwitze, ausscheide, Hauptschuppen verliere, Fußnägel oder Haare schneide, mir eine Wunde zuwächst, sich die Haut erneuert, ich dicker oder schlanker werde, gehen jede Menge Atome rein und raus.

Die Frage ist, wieviele davon bleiben. Wieviel Prozent meines Körpers besteht noch aus denselben Atomen, die ich vor 10 oder 20 Jahren schon hatte?

Und was ist mit denen, die ich nicht mehr habe? In wievielen anderen Lebewesen leben die jetzt weiter?

Allein schon durch den Sauerstoffwechsel und die Zufuhr von Kohlenhydraten und die Abfuhr von Abbauprodukten ist jede einzelne meiner Zellen betroffen – sonst wär sie ja tot. Wieviel bleibt dabei von einer Zelle? Inwieweit ist das, was ich heute esse, mit dem auf Atomebene identisch, was ich in den nächsten Tagen mit dem Urin ausscheide? War das ein Tauschgeschäft?

Bin ich überhaupt noch ich? Im Darm und an anderen Stellen des Körpers leben jede Menge fremder Bakterien. Viren habe ich sicher auch satt eingefangen. Ich will nicht ausschließen, daß mir irgendwelche unsichtbar kleinen Viecher unbemerkt auf der Haut (oder darunter?) rumkrabbeln. Was bin ich froh, daß mein Körper keine Demokratie ist, sonst hätten die mich längst überstimmt.

Es gibt Leute, die darüber nachdenken, ob man sich im Raumschiff Enterprise mit dem Transporter beamen lassen sollte. Weil sie Angst haben, daß durch den Transporter am Ziel nur eine identische Kopie aufgebaut wird, die nur glaubt, man selbst zu sein, während das Original beim beamen kommentarlos getötet und aufgelöst wird. Man würde also – ohne daß die Umwelt es merkt – durch eine gleichartige Kopie ersetzt, deren Erinnerungskopien sie dort weitermachen lassen, wo das Original gerade aufgehört hat.

Die Frage ist, ob es mir im Vergleich zum Raumschiff Enterprise soviel besser geht, wenn ich 10 Jahre lang vor mich hin atme, trinke, esse, Nägel schneide. Oder ob mir das gleiche passiert, nur Stück für Stück und nicht auf einmal.

Wieviel Prozent Substanzsubstitution verträgt meine Identität, damit ich überhaupt noch von mir selbst reden kann? Oder bin ich auch nur noch eine müde Kopie dessen, der vor 10 Jahren unter diesem Namen herumlief und Stück für Stück erodiert und ersetzt wurde?

Und ist vielleicht das Konzept des biometrischen Personalausweises sowieso Unfug, weil dessen Biometrie-Methoden gar nicht erfassen, daß ich schon längst durch einen anderen ersetzt wurde? Die behaupten, ein Personalausweis wäre 10 Jahre gültig. Kann man überhaupt so lange von einer kontinuierlichen Identität reden? Was ist meine Halbwertszeit?

Auf den Schreck muß ich erst mal was essen.

20 Kommentare (RSS-Feed)

Kai
9.3.2011 19:44
Kommentarlink

Die Seele, Hartmud.
Abgesehen von diesem ganzen Kirchenquatsch glaube ich, dass es doch so etwas wie die Seele geben muss und das genau die unsere Identität ausmacht. 🙂


Kai
9.3.2011 19:45
Kommentarlink

Tut mir leid, dass ich deinen Namen falschgeschrieben habe. Natürlich Hadmut.


Habmut
9.3.2011 20:15
Kommentarlink

Keine Sorge, Hadmut!
Du kannst dich sogar über den Atomaustausch freuen, denn seit
du dich aus dem Embryo entwickelt hast
wird deine Identität dadurch quasi ständig aufgewertet:
http://www.sciencebusters.at/sections/science-fu/posts/122
Stell dir vor wieviele Atome du von Goethe, Einstein – gut, von dem noch nicht so viele -, Schiller, Aristoteles, Pythagoras, Dschingis Khan, Caesar und wem du willst in dir hast. Da kannst du doch stolz sein!
Einige interessante Denkanstöße über Identität auf Basis eines vertrackten Gedankenexperiments finden sich auf
http://www.allmystery.de/themen/gw45687
Viel Spaß beim Grübeln 😉


Fabian
9.3.2011 21:12
Kommentarlink

Tja, klare Diagnose: es mangelt an einem anständigen Versionskontrollsystem…


Steffen
9.3.2011 21:26
Kommentarlink

Wie so häufig findet man bei Snopes was dazu:

http://message.snopes.com/showthread.php?t=6684

Ist zwar kein vollständiger Artikel, aber immerhin eine Diskussion im Snopes-Forum.


Hadmut
9.3.2011 21:37
Kommentarlink

Naja, ich bin mir ziemlich sicher, daß man sich nicht zu 100% ersetzten kann. Zähne, Zellwände von Nervenzellen und Teil der Knochen bleiben mit ziemlicher Sicherheit ziemlich lange stabil. Auch Eizellen in den Eierstöcken der Frau sind schon während ihrer eigenen Geburt angelegt, können sich aber nicht selbst reduplizieren und müssen ihre DNA daher stabil erhalten. Die dürften auch ziemlich lange halten.


Jochen Wersdörfer
9.3.2011 21:51
Kommentarlink

Das ist tatsächlich eine ernsthafte philosophische Frage und Hegel hat die auch schon beschäftigt:

http://www.youtube.com/watch?v=Wbqjff_xcZg&playnext=1&list=PL7A4D58F33012B9C2


euchrid eucrow
9.3.2011 22:13
Kommentarlink

haha! du hast doch getrunken oder gar geraucht. =)
hier eine buchempfehlung:
http://www.booklooker.de/app/detail.php?id=901702740&setMediaType=0&&sortOrder=


Hadmut
9.3.2011 22:16
Kommentarlink

Nein, ich bin Nichtraucher und Antialkoholiker. So bin ich manchmal schon im Normalzustand. Dazu noch saufen wär ja nicht mehr auszuhalten…


euchrid eucrow
9.3.2011 22:17
Kommentarlink

bitte ergänze das ‘f’ in empehlung. im übrigen sind die ersten zwei drittel wirklich lesenswert.


ben
9.3.2011 23:19
Kommentarlink

Zu der Krabbelviecherfrage eine kleine Info am Rande: Im menschlichen Körper leben im Vergleich zu der Anzahl an Körperzellen etwa 50x soviele Mikroorganismen. Hauptsächlich im Darm und auf der Haut. Die meisten sind nützlich … 😉


Someone
10.3.2011 1:04
Kommentarlink

Ist aber anscheinend immer noch zumindest der selbe Zellhaufen irgendwie.

Irgendwo hab ich mal gelesen, dass wir altern, weil sich die Körperzellen nicht beliebig oft teilen können.

Hat irgendwas mit DNA-Verkürzung beim Kopieren zu tun.


Stefan W.
10.3.2011 6:41
Kommentarlink

M.W. dauert es 7 Jahre, bis kein Molekül mehr ist wie es war.

@Kai: Nicht abgesehen von diesem ganzen Kirchenquatsch, sondern das ist genau der Kirchenquatsch – etwas zu glauben, was man glauben will. Statt Dein Konzept von Identität zu überdenken.

Die Zellen werden ja gemäß einem Bauplan immer wieder an gleichen Stellen gebaut – inklusive Narben und Falten. Auch das Hirn vergißt nicht, was 7 Jahre her ist.

Es ist nicht so beunruhigend. Das ist mehr wie eine Stadt, in der die Häuser abgerissen und neu gebaut werden, und Menschen sterben und neue werden geboren. Die Strassenzüge bleiben im wesentlichen erhalten – Berlin bleibt doch immer Berlin. 🙂

Aber die ‘Seele’ stirbt natürlich mit dem Körper, denn ohne einen solchen hat sie keinen Sinn.


klonderer
10.3.2011 8:51
Kommentarlink

mensch mensch, du machst dir gedanken.
aber beamen würde ich mich (aus genannten gründen) auch nicht lassen


Stefan
10.3.2011 9:27
Kommentarlink

Da ist “Eine kurze Geschichte von fast allem” von Bill Bryson was für dich. Der behandelt sehr unterhaltsam u.a. das Thema Atome im Körper.

Demnach wäre z.B. die Aussage: “In meinem Körper stecken Atome von Isaac Newton” mit hoher Wahrscheinlichkeit korrekt.


Hadmut
10.3.2011 10:44
Kommentarlink

@Stefan: Ich kann mich so dumpf entsinnen (was den Blog-Artikel auch etwas motiviert hat) daß ich irgendwo mal so eine Schätzung gesehen habe (ich weiß nur nicht mehr wo und die Details), wonach jeder Mensch soundsoviele Atome in sich hat, die auch schon in Julius Cäsar enthalten waren. Ging glaub ich über die Atemluft.

So gesehen muß man sich bewußt machen, daß man wohl von jedem Menschen der Welt (auch der Steinzeit) irgendwas in sich hat. Wenn irgendwo ein Leopard rülpst oder ein Nilpferd einen fahren läßt – wir haben was davon.


Andreas
10.3.2011 11:08
Kommentarlink

Atome selbst sind keine Information (außer der Information, dass es Atome sind und welcher Art) sondern nur Informationsträger durch ihre Zustandsfunktion (Grundzustand, angeregter Zustand, Bindung zu anderen Atomen und welche Bindung etc.). Was heißt, dass Atome die ihre Zustandsfunktion verändern ihre Information verlieren. Du hast Atome von Einstein in dir da er Kohlenstoffatome in sich trug (Mal ganz von der Tatsache abgesehen, dass Atome ebenfalls ständig durch Kernprozesse auf- und abgebaut werden).
Materie besteht also letztlich aus uniformen Grundbausteinen denen eine Information gegeben wurde. Wenn der Mensch nun aus Materie besteht besteht er aus Informationen. Aber wir wissen nun, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile – sprich die selben chemischen Stoffe zusammen zu kippen macht noch keinen Menschen, dazu braucht es (selbst-)Organisationsprozesse.
Woraus sich schlußfolgern ließe, dass der Mensch (das Subjekt im Allgemeinen) ein Informationsmanagementsystem darstellt und sich die Individualität durch die gewählten Parameter des Prozesses wiederspiegelt. – Quasi unabhänig von der Hardware und des Energieerzeugungsprozesses.

Beim kopieren sollte die Thermodynamik berücksichtigt werden (zumindest beim realen Prozess) womit bei Reaktionen stehts die Entropie zunehmen muss. Es würde also kein 100%iger Transfer aller Parameter des Managementprozesses statt finden und somit eine neue Indentität geschaffen.

soweit mein kleiner Ausflug in die chemisch/physikalische Sicht der Sache. Zu Informationstheorie wissen hier sicher viel mehr Leute mehr als ich 🙂


Ebelyn
11.3.2011 0:31
Kommentarlink

Es gibt dazu einen interessanten (und gut lesbaren) Vortrag von Deepak Chopra. Darin wird ausgeführt, dass unsere jeweilige empfundene Identität ein Konstrukt ist, das unser Hirn auf der Grundlage der eingeschränkten menschlichen Wahrnehmungsfähigkeiten und der überwiegend erlernten Interpretationen erstellt.
Den Text findet man z.B. hier:
http://www.ingebrylla.de/quantenbewusstsein.pdf
Da gibt es ein paar sehr gute Gedanken und anschauliche Beispiele zum Thema Wahrnehmung und Identität. Das klingt zum Teil zwar ein bisschen esotherisch, aber es geht schließlich auch um das “unfassbare”…


Mephane
11.3.2011 0:43
Kommentarlink

“Die Frage ist, wieviele davon bleiben. Wieviel Prozent meines Körpers besteht noch aus denselben Atomen, die ich vor 10 oder 20 Jahren schon hatte?”

Soweit ich weiß gar keine. Ich kenne jetzt selbst das Intervall nicht, aber es wurde mal berechnet, dass wohl alle paar Jahre beinahe sämtliche Materie im Körper komplett ausgetauscht wird (ausgenommen wären wohl nur die Teile, die sich so oder so nicht verändern können, z.B. Zähne). Es werden ja auch in kleinerem Maßstab Moleküle umgewandelt, aufgenommen, ausgeschieden – es müssen ja nicht gleich immer ganze Haare, Schuppen oder Zellen sein, Stichwort Zellstoffwechsel – einzelne Moleküle summieren sich da auch mit der Zeit.

“Die Frage ist, ob es mir im Vergleich zum Raumschiff Enterprise soviel besser geht, wenn ich 10 Jahre lang vor mich hin atme, trinke, esse, Nägel schneide. Oder ob mir das gleiche passiert, nur Stück für Stück und nicht auf einmal.”

Klingt nach dem klassischen Konflikt Identität vs. Gleichheit. Die gebeamte Kopie auf der Enterprise ist sicherlich gleich, aber definitiv nicht dieselbe Identität. Der normale Materieaustausch im menschlichen Körper (und dem aller anderen Lebewesen ja auch) ist dagegen ja eher ein fließender Prozess, und die neue Materie wird ja auch kontinuierlich einverleibt und angepasst. Das heißt der Körper macht sich die neue Materie zu eigen und formt sie ja zu einem Teil seiner selbst, insofern sehe ich da kein wirkliches Problem.

Ich würde die Identität daher eher aus der Kombination Bewusstsein (ganz gleich ob man damit etwas wie eine Seele impliziert oder nicht) und dem Körper betrachten, wobei letzter aber eben nicht einfach die Summer seiner Teile zum Zeitpunkt X ist, sondern vielmehr ein sich selbst stetig neu erschaffender Prozess.


Vom Putzen von ein paar Röhren und Austauschen von ein paar Transistoren ändert sich nichts. Die Struktur ist es, die uns ausmacht. Die Struktur wurde im Laufe der Evolution aufgebaut. Was bleibt von einem Radio, wenn man sämtliche Bauteile getauscht hat? Ein Radio!

Was ist wesentlich an dieser Stuktur?
Einen Weg, das zu klären gibt es hier:
_ttp://thumulla.com/Darwin_und_was_dann.html
_ttp://thumulla.com/KdS_info.html

Das Subjektive ist schon von Anfang an Teil der Evolution. Ohne geht nichts. Ohne egoistisches Moment kann sich nichts entwickeln.
Auf der linken Seite kann man das Buch lesen:
_ttp://subjekte.de/Anthropologie.htm
Teilweise etwas lang aber gut, weil die wichtigen Sachen erkannt wurden.

Quantenbewußtsein: esoterischer Quatsch

Das Bewußtsein, sein Keim, steckt von Anfang an in der Entwicklung des Lebens. Ohne die Bewußtwerdung von Innen und Außen, ohne egoistisches Handeln gibt es keine Entwicklung des Lebens.

ps: schon wieder spammy, scheiß Software
pps: immer noch spammy, so könnt ihr alleine weitermachen

Carsten

http://www.klimaskeptiker.info/img/homers_scream_us_temps.jpg