Ansichten eines Informatikers

Kristina Köhler bei Beckmann

Hadmut
20.1.2010 0:17

Beobachtungen an einer Aufzeichnung.

(Nun wechsle ich doch mal in mein allgemeines Blog, weil es nicht mehr [nur] um Wissenschaft geht, sondern eher um Politik.)

Gestern abend war die neue Familienministerin Kristina Köhler in der ARD bei Beckmann. Eigentlich schaue ich die Sendung nicht, denn Beckmann gehört nach meiner Einschätzung zu den schlechteren Talk-Shows, ich empfinde sie als seicht, langweilig, oberflächlich, profillos, ohne Biß. Belangloses Geplauder. Phantasielose, platte Fragen. Ich halte Beckmann für wenig geeignet, eine Talkshow zu machen.

Und dann die Ankündigung, daß Kristina Köhler dort auftreten werde. Bislang weiß ich von der Frau gar nichts, lediglich ihre Dissertation habe ich untersucht (siehe hier, hier und hier), bin aber zu dem Ergebnis gekommen, daß sie da eigentlich nichts wissenschaftliches gemacht hat. Und was sie gemacht hat, hat sie nicht selbst gemacht. Und was sie selbst gemacht hat, steckt voller wissenschaftlicher Standardfehler. Elementare wissenschaftliche Methoden fehlen. Dafür ein CDU-naher Doktorvater und ein fragwürdiger Zweitgutachter. Stinkt zehn Meilen gegen den Wind nach einer politisch motivierten Gefälligkeitspromotion. Zudem verdichtet sich der Verdacht, daß Köhler nicht aus Kompetenz (die ohnehin so viele anzweifeln) Familienministerin geworden ist, sondern weil die Hessen-CDU so großen Einfluß und ein gewisses Ministerkontingent hat, und der zurückgetretene Minister Jung auch Hesse war, zumal es gerade einen Krach in der CDU gibt zwischen den konservativen einerseits, voran die Hessen, und der gemäßigten Merkel auf der anderen Seite. Die Ernennung der sehr konservativ organisierten Hessin Köhler könnte also durchaus auch der parteiinternen Beschwichtigung gedient haben. Jedenfalls Grund genug für mich, mal den Videorekorder anzuschmeißen. Angeblich soll das Interview auch in der ARD Online gehen, ist es aber noch nicht.

Ich wollte mir einfach mal ein Bild davon machen, wie die Frau persönlich auftritt, wie sie redet, welche Positionen sie wie vertritt. Man sagt, man solle Leute nicht nach ihrem Äußeren beurteilen. Das sehe ich anders. Nicht nur, weil der Satz in sich widersprüchlich ist, weil man alles, was andere wahrnehmen können, als Äußeres ansehen könnte. Nicht nur, weil es bei einem Politiker nun einmal doch auch auf Äußerlichkeiten ankommt. Sondern auch, weil nach meiner Lebenserfahrung (und der Meinung vieler Psychologen, Pantomimen, usw.) die Gestik, die Mimik, die Wortwahl, die Intonation doch einiges sagen. Über die Bildung beispielsweise. Ob jemand selbst glaubt, was er sagt. Ob er zuhört. Oder ob jemand, wie beispielsweise ihre Amtsvorgängerin, einen Redestil wie eine Brotsäge hat. Wenn ich beispielsweise nur die Sprachmelodie, die Rhythmik, die Intonation einer Frau von der Leyen höre, gehen bei mir sofort die Alarmanlagen an, einschließlich der für Demagogie. Da merke ich dann, daß jemand die Stimme bewußt – erfahren oder geschult – aggressiv einsetzt, mißbraucht, um rhetorisch wenig erfahren Leute zu manipulieren. Ein Redestil wie ein Frontalangriff, eine monarchistische Mißachtung jeder Andermeinung. Der Redestil sagt einiges über den Menschen. Nur sollte man eben nicht den Fehler machen, das auf den ersten Blick beurteilen zu wollen.

Naja, gut, sie haben ein paar kritische Meinungen von Leuten auf der Straße eingespielt. Besser als nichts, aber Feigheit vor dem Feind. Beckmann ist so weich, der braucht selbst für Fragen noch Stellvertreter. Immerhin brachten sie dann eine Einspielung mit einer Aussage des Politikwissenschaftlers Gerd Langguth (dessen Homepage allerdings auch mehr nach Selbstdarsteller als nach Wissenschaftler aussieht, insofern könnte man auch fragen, ob er sagt, was er für richtig hält oder das, was ihn ins Fernsehen bringt), der da eben auch sagte, daß Köhler deshalb Familienministerin geworden sei, weil es ein enges Verhältnis zwischen Koch und Merkel gebe, Jung aus Hessen sei, und Köhler deshalb „aus Quotengründen” Ministerin wurde, obwohl sie bei der Regierungsbildung vorher in keiner Weise berücksichtigt worden war.

Köhler als „Quotenfrau”, nur eben nicht (nur) wegen der Frauenquote (wobei ich wetten würde, daß Merkel und Amtsvorgängerin von der Leyen da unbedingt eine Frau für das Alles-außer-Männer-Ministerium haben wollten), sondern wegen der Hessen-Quote. Und das bei Beckmann. Allerdings – und dann eben doch Beckmann – nie zur Klärung, sondern eigentlich immer nur als zugespielter Ball zur widerstandsbefreiten Selbstdarstellung. Das ist das, was mich an Beckmann stört, daß das unter dem Deckmantel des Talks nur eine Bühne zur Selbstdarstellung ist.

Immerhin paßt der Vorhalt genau zu der Art und Weise unserer Politik, denn wer Koalitionsstimmen mitbringt, der bekommt nach dem Proporz auch Posten und Macht. So die FDP, so die CSU, warum also sollte es bei der Hessen-CDU anders sein? Welche Ministerposten werden bei uns schon nach Sachkompetenz besetzt?

Gut, ihr Sprachstil war unauffällig, daraus würde ich jetzt erst einmal (wider Erwarten) wenig ablesen, außer daß ich den Eindruck hatte, daß man es eben mit einer noch nicht gereiften und unerfahrenen Persönlichkeit zu tun hat. Das hörte sich alles so brav an. Stellt man den Ton ab und achtet nur auf Mimik und Gestik – naja, wirkt eher deffensiv. Manche Gesten wie ein Schutz, ein Verteidigungsblock, und dann viele Rechtfertigungsredengesten. Was erst einmal nicht viel heißen will, wie eben ein wenig berufserfahrener Mensch, auf den gerade viele einschlagen. Mehr tapfer als souverän. Großer Kontrast zu den offen-kommunikativen Gesten des Peter Scholl-Latour, der auch da saß.

Und dann doch eine interessante Frage von Beckmann (aber wieder nur so als Vorlage, nichts wird nachgehakt), daß man sich frage, woher jemand ohne Führungserfahrung einen Laden mit 650 Mitarbeitern führen können soll. Und da kam von Köhler eine Antwort, die ich bedenklich finde. Ich bin mir nur nicht sicher, ob bedenklich naiv, bedenklich leichtfertig oder bedenklich dominant. Vermutlich alles drei.

Sie sagte, daß sie die „richtigen Leute habe und mitbringe, die sich schon sehr gut mit dem Haus auskennen”, die ihr erlaubten, das Haus zu führen. Die wird das Ministerium so führen, wie sie ihre Dissertation geschrieben hat: Sie hat ihre Leute, die ihr das machen. Freilich erwarte ich nicht, daß man alles selbst macht. Delegation und Hierarchie sind normal. Aber das kommt mir doch mehr als verwegen vor. Sie sagt weiter, daß sie die Schwerpunkte setzt und die politischen Leitlinien formuliert und gegenüber dem Parlament vertritt, und das Haus muß diese Leitlinien dann umsetzen. Sagt die so.

Das kommt mir sehr, sehr bedenklich vor. Und erinnert mich an die Dissertation. Stand da nicht im Vorwort schon drin, daß sie gar nicht erst vor habe, wissenschaftliche Erklärungen zu liefern? Sie gibt vor, daß eine Umfrage zu veranstalten sei (und mit ihrer Meinung eigentlich gleich das Ergebnis), dann dürfen die anderen rennen, rödeln, auswerten, formatieren, und sie liest das Ergebnis vor. Und ganz genau so hört sich der Politikstil an. Sie äußert politische Wünsche, vertritt die vor dem Parlament, und das Ministerium soll sich dann darum kümmern, das Umzusetzen. Oder sollte ich besser sagen, der Hofstaat? Hatte nicht eine Frau von der Leyen zur Kinderpornosperre verkündet, daß es „ihr politischer Wille sei”, ungeachtet der Realität, und es an den anderen läge, dies umzusetzen, und alle „krachend unfähig” seien, die ihren Willen nicht in die Tat umsetzten? Geht das jetzt schon wieder los? Dieses Land braucht Macher, nicht Wünscher.

Ist das nicht genau die Bestätigung der Hessen-Hypothese? Köhler als Überbringerin hessisch-konservativer Wünsche? Und die Politik in Berlin darf dann springen? Ist das vielleicht genau der Grund, warum man gerade eine junge unerfahrene Frau da platziert, weil man der leichter sagen kann, was die zu wollen hat?

Und dann kam noch ein anderer interessanter Punkt, nämlich daß sie mit Anwälten gleich auf die Bild-Zeitung losgegangen ist. Köhler sagt, daß die Bild-Zeitung ihr unterstellen wollte, daß sie ihre Doktorarbeit nicht selbst geschrieben hätte, was sie für einen gravierenden Vorwurf halte. Weil eben ein Assistent geholfen habe.

Bemerkenswerterweise (und wie schon bisher) bestreitet Köhler aber auch nicht, daß das so passiert ist, sondern beruft sich allein darauf, daß das im Vorwort erwähnt worden sei. Trotzdem wolle die Bild-Zeitung daraus eine große Geschichte machen.

Und das finde ich dann mehr als bedenklich. So nach dem Motto, daß man sich seine Arbeiten erledigen lassen kann, solange daraus kein Geheimnis gemacht wird. Dieser Auffassung kann man dann zustimmen, wenn an der Dissertation so viel wissenschaftliche Eigenleistung dran ist, daß die Eigenleistung selbst als Prüfungsleistung ausreicht. Wie meine Analyse ergeben hat (siehe hier, hier und hier), ist das aber nicht der Fall. Weder enthält die Dissertation als Ganzes genügend wissenschaftlichen Inhalt, um eine Promotion zu rechtfertigen, noch bleibt nach Abzug der – angegebenen – Fremdleistungen viel übrig, denn da steckt kaum mehr drin als die Ergebnisse prosaisch vorzulesen, und eben ein Haufen erheblicher Fehler.

Komischerweise stürzen sich Presse, Bild-Zeitung und Köhler selbst fast nur auf diesen einen Punkt der Beauftragung dieses Mitarbeiters. Gerade so, als ob man sich verabredet habe, einen Nebenkriegsschauplatz aufzumachen, um davon abzulenken, daß in der Diss eigentlich nichts wissenschaftliches steht. Oder als wollte man den Namen Köhler in die Presse bringen, egal womit. Immerhin haben Süddeutsche, WELT und Deutschlandradio ja ganz richtig erkannt, daß in der Dissertation eigentlich nichts drin steht, der Kaiser nackt und der Doktorvater dubios ist. Insofern könnte die Aktion der Bildzeitung durchaus ein Ablenkungsmanöver sein. Denn wenn man sagt, daß jemand seine Doktorarbeit nicht selbst geschrieben habe, dann wird ja implizit unterstellt, daß das überhaupt was drin geschrieben steht. Der Punkt ist aber, daß weder sie selbst noch irgendwer sonst da etwas promotionswürdiges reingeschrieben hat. Und das scheint sie auch nicht zuv erstehen, so wie sie da auftritt. Ihre Gestik und Mimik in dieser Situation drücken starkes Unverständnis dafür aus, daß sie angegriffen wird. Die Bild-Zeitung fordere, ihr den Doktortitel wieder abzuerkennen (was ich übrigens für eine berechtigte Forderung halte, diese Promotion ist ein Fußtritt für alle normalen Doktoranden, die ihren Doktor nicht über Geld oder Partei bekommen), was sie für schlimm halte, weil dadurch verdammt viel an ihr hängen bliebe.

Was wiederum und damit zum dritten Mal an den Tag legt, daß sie andere verantwortlich macht. Nicht sie selbst hat sich das eingebrockt mit einer lausigen Dissertation und der Beauftragung Dritter, sondern die Bild-Zeitung ist schuld, weil sie darüber berichtet. Auf die Idee, daß man so keine Dissertation schreiben kann (zumal die Promotionsordnung dort ja ausdrücklich auch die Darstellung als Prüfungsleistung benennt), kommt Köhler erst gar nicht. Sie räumt verbal und durch Gestik und Mimik ein, daß die Beauftragung der Anwälte vielleicht ein Fehler war. Aber grundsätzlich sei das nur eine Kampagne der BILD-Zeitung gegen sie. Sagt sie. Guckt aber doch wie eine ertappte Sünderin. Und dann wacht Beckmann doch mal auf und fragt, ob der Anwaltsbrief nicht so etwas wie vorauseilende Panik gewesen sei.

Köhler reagiert mit Ablenkungsmanövern. Die wirklich spannende Frage sei doch, warum überhaupt versucht würde, eine solche Kampagne zu starten. Ganz typisch politisches Abwehrschema, aber auch in deutschen Universitäten die Universalreaktion auf jegliche Einwände: Es wird nicht untersucht, ob ein Einwand oder Gegenargument berechtigt ist, sondern es werden einfach unlautere Absichten unterstellt und damit der Einwand als unbeachtlich eingestuft. An deutschen Universitäten habe ich das noch nie anders erlebt, klassisch deutsche Wissenschaftsbetrugstechnik.

Da sei eine junge Frau – sagt sie. Hört sich nach Blondinen-Mitleidsmasche an. Vier Wochen lang habe sie der BILD-Zeitung alles dargelegt. Als ob eine faule Dissertation dadurch geheilt würde, daß man alles darlegt. Und dann sagt sie, daß das damit zusammenhänge, daß sie in deren Bild einer Familienministerin nicht hereinpasse.

Das ist eine Art Unfehlbarkeitsanspruch. Wer an ihr irgendetwas kritisieren wolle, der habe einfach was gegen junge Frauen. Daß man die Dissertation kristisieren könnte, weil sie einfach offensichtlicher Murks ist, und den Promotionskriterien, die man an andere Leute (so sie kein Geld und keine Beziehungen haben) anlegt, nicht entfernt entspricht, daß es da an fundamentalen wissenschaftlichen Fähigkeiten fehlt, kommt in ihrer Welt gar nicht erst vor. Sie will, daß das nichts an ihr hängen bleibt. Daß das, was da an ihr hängt, aber nicht die BILD-Zeitung ist, sondern ihre Dissertation, und daß genau diese öffentliche Diskussion Sinn und Zweck der Veröffentlichungspflicht ist, kommt ihr nicht in den Sinn. Was geht im Kopf einer Frau vor, die ihre Doktorarbeit zu einem Verlag bringt, sie drucken und als Buch verkaufen läßt, sich plakativ als Frau Doktor zur Ministerin vereidigen läßt, und sich dann darüber wundert, daß es Leute gibt, die sich die Dissertation mal anschauen? Kann man so naiv, so blond sein?

Für gefährlich halte ich diese Auffassung, daß man jeglichen Mist bauen, aber alles entschuldigen kann, wenn man hinterher etwas darlegt. Sie meint, daß wenn sie der BILD-Zeitung etwas darlegt, die sie vom Haken lassen müssen und alles gut ist. Das könnte zu einer sehr gefährlichen Politik werden.

Um das noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich halte diese Dissertation für einen Fake, offenkundigen Mist, der von einem fragwürdigen und der CDU sehr nahestehenden Doktorvater aus parteipolitischer Opportunität gegenüber hessischen Standpunkten durchgewunken wurde. Ich halte diese Dissertation keinesfalls für promotionswürdig. Die Tatsache, daß der Doktorvater davon wußte, macht die Sache in meinen Augen nur noch schlimmer und die Promotion damit nichtig. Der Doktorgrad müßte vom Rektorat von Amts wegen entzogen werden.

Noch ein Lacher zum Schluß: Die Dissertation beruht auf einem Zitat im SPIEGEL (siehe meine Rezension), wonach der SPD-Politiker Harald Ringstorff zu Franz Müntefering gesagt haben soll, daß die Ostdeutschen lieber trocken Brot für alle als Brot mit Margarine für alle und mit Kaviar für einige haben würden. Man fragt sich, wie man auf so nem Spruch eine Doktorarbeit aufbauen soll. Jedenfalls habe ich bei der SPD, bei Ringstorff und bei Müntefering mal angefragt, ob das Zitat überhaupt so stimmt, ob die das so gesagt haben.

Bisher habe ich keine Antwort bekommen. Was eher darauf hindeutet, daß es stimmt, sonst hätten sie es dementiert. Ist ja eigentlich peinlich und beleidigend sowas. Es bleibt aber, daß sich die gesamte Dissertation um etwas dreht, was nicht einmal bestätigt werden kann. Es ist nicht einmal ohne weiteres zu verifizieren, ob es das Thema der Dissertation überhaupt gibt. Abgesehen von den vielen sonstigen Fehlern.

Sich unter solchen Umständen noch in eine Talkshow zu setzen und die Angriffe der BILD-Zeitung als persönlich motiviert abzutun, halte ich dann schon für einen Fall des Dunning-Kruger-Effekts. Der hat man den Doktor hinterhergeworfen und sie glaubt, sie hätte promoviert.

Ich glaube, die Zeitungen werden noch viel zu berichten haben. Und der Brennstoff für meine Blogs dürfte auch gesichert sein. Bemerkenswert ist es auf alle Fälle, daß die BILD-Zeitung tatsächlich auch mal was ordentliches schreibt.

Ein Kommentar (RSS-Feed)

http://www.gerd-langguth.de/index.html
Seite außer Kraft gesetzt. Ist die gedanischt, analog zum geheist?

| Alles-außer-Männer-Ministerium
Genau — so ähnlich hatte ich das auch mal ausgedrückt. Es ist eine bodenlose Frechheit, wie offen gegen das Grundgesetz verstoßen wird.

Carsten

“Übrigens kann ich Ihnen versprechen, dass diesmal auch kritische Zuschauerkommentare in unserem Sendungsforum im Internet nicht gelöscht werden.”
Frank Plasberg, FAZ 20091230