Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Die Leiden der Doktoranden…

Hadmut Danisch
12.6.2009 23:13

Ver.di hat eine Studie über Doktoranden anfertigen lassen. (Gefunden beim SPIEGEL)

Die Studie Der wissenschaftliche “Mittelbau” an deutschen Hochschulen – Zwischen Karriereaussichten und Abbruchtendenzen enthält einige sehr interessante, aber auch einige weniger korrekte Aussagen.

(Seite 7:) Das deutsche Hochschulsystem unterstellt implizit, dass wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen auch Hochschullehrer/-innen werden. Allerdings trifft dies nur auf ca. zehn Prozent der Promovierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen zu. Viele wollen gar nicht länger als bis zur Promotion bleiben, und für viele derjenigen, die dauerhaft im Hochschulsystem bleiben würden, gibt es keine längerfristigen Stellenperspektiven. […]

(Seite 5:) Der Begriff vom “subjektiven Prekariat” lässt sich in diesem Zusammenhang generieren. Schließlich zeigt die Studie, dass der “wissenschaftliche Nachwuchs” seine Situation, auch wenn sie objektiv allen Präkariatskriterien entspricht, subjektiv als nicht prekär perzipiert. Die Hoffnung auf eine “bessere Zeit” nach der Promotion, sowie die intrinsische Motivation das eigene Forschungsvorhaben zu realisieren, können hierbei als mögliche Erklärungsvariablen gelten.

Mal abgesehen davon, daß es so völlig bescheuert ist, innerhalb der ersten zwei kurzen Sätze dreimal die Doppelform er/-innen zu verwenden, daß man gleich merkt, daß die Autoren selbst auch aus dem Hochschulbereich kommen müssen, trifft das die Sache doch ziemlich auf den Punkt. Die Universitäten lassen die Doktoranden für sich arbeiten, suchen sich 10 Prozent davon heraus und werfen den Rest als Müll weg. Das System ist so unterfinanziert, daß es auf normale Weise nicht funktionieren würde, sondern eben solche ungeschützten “Sklavenarbeiter” braucht. Deshalb wird das System auch politisch geschützt – es spart Geld.

Der/Die durchschnittliche wissenschaftliche Mitarbeiter/-in ist 42 Stunden in der Woche an der Universität tätig, unabhängig von seiner/ihrer vertraglichen Arbeitszeit von 40, 30, 20 oder weniger Stunden pro Woche. […] Die zunehmende Stellenbefristung von wenigen Monaten hingegen fördert die prekäre Situation von Nachwuchswissenschaftlern/-innen.

Wäre ich böse, würde ich jetzt sagen, daß die zusätliche Arbeitszeit entsteht, weil man in jedem Satz alle personenbezogenen Substantive in der Doppelform maskulin/feminin schreiben oder lesen muß. Das kostet etliche Stunden pro Woche.

Aber im Ernst: Die Zeiteinschätzung ist naiv und unrichtig. Nach meinen Beobachtungen liegt die wöchentliche Arbeitszeit von wissenschaftlichen Mitarbeitern oft sehr viel höher. Zu meiner Zeit – vor allem als Hiwis, aber oft auch als Mitarbeiter – waren wir sehr oft bis abends 22 oder 23 Uhr im Institut, nicht selten auch bis 2 oder 3 Uhr morgens oder später. Ziemlich oft haben wir die morgendliche Putzkolonne begrüßt. Und normalerweise war das Institut auch an Wochenenden oft mindestens halbvoll besetzt. Die Arbeitszeiten, in denen die Leute zuhause an Vorlesungen, Übungen, Papers bauen, noch nicht mit eingerechnet. So gesehen könnte man 42 Stunden als harmlos ansehen. Auch in der Industrie ist man leicht drüber. Allerdings muß man schon nach der Arbeitspraxis der Autoren fragen, wenn sie 42 Stunden schon als viel ansehen. Man sollte da eher von 60 bis 80 Stunden bei vielen Mitarbeitern ausgehen.

Richtig ist aber, daß an vielen Universitäten auch von Leuten mit einer halben oder einer Drittel Stelle die mindestens volle Arbeitszeit verlangt wird, und man dazu oft noch auf Urlaub und Feiertage zu verzichten hat. Und das ist schlichtweg eine Schweinerei. Ich sags mal in aller Deutlichkeit: Viele Professoren behandeln ihre Mitarbeiter wie Leibeigene und den letzten Dreck. Viele Professoren sind als Vorgesetzte unfähig und – deutlich gesagt – richtige Schweine. Aber woher soll es auch kommen? Professoren gehören zu den wenigen Leuten, die von ihrem Beruf fast nichts erlernt haben. Management, Personalführung, Arbeitgeberpflichten sind völlig unbekannt.

(Seite 10:) Viele der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen klagen über zu wenig Zeit für die Promotion. Und die Hälfte von ihnen gibt an, die Arbeit an der Promotion für einen längeren Zeitraum unterbrochen oder ernsthaft über einen Abbruch nachgedacht zu haben. Fragt man zur Klärung der Gründe nach der Unterstützung bei der Promotion, so zeigt sich ein Viertel unzufrieden mit der Hilfestellung durch Betreuende und 20 Prozent mit den Gelegenheiten zum kollegialen Austausch auf fachlicher Ebene. Auch bei der Klarheit der fachlich-inhaltlichen Anforderungen an die Promoion, bei planerisch-organisatorischen Fragen der Durchführung der Promotion, bei der Unterstützung beim Eintritt in die Scientific Community, den Hilfestellungen bei der Publikationstätigkeit sowie bei der Unterstützung in puncto Auslandsaufenthalten sind ein Drittel bis 40 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen unzufrieden.

Schon diese Zahlen sind erschreckend, aber noch weit unter dem, was ich aus der Informatik kenne. Das sind sicherlich eher Mittelwerte über alle Fächer oder nur bestimmte Fächer an den untersuchten Universitäten. Während meiner Zeit als Mitarbeiter in Karlsruhe kannte ich fast niemanden, der eine ordentliche Betreuung erhalten hätte. Allerdings muß ich sagen, daß viele der Doktoranden aus meinem Bekanntenkreis darüber auch mehr oder weniger froh waren, weil ihre Doktorväter fachlich und wissenschaftlich so schlecht waren, daß jede Einmischung in die Promotion kontraproduktiv war und nur Probleme bereitete. Die Befähigung zur Betreuung einer Promotion fehlt jedenfalls in der Informatik den meisten Professoren.

Erschreckend ebenfalls, wieviel Doktoranden sich unsicher darüber sind, was eigentlich von ihnen verlangt wird. In meinem Fall war die Karlsruher Fakultät – angeblich die beste deutsche Informatikfakultät – in 10 Jahren nicht in der Lage, auch nur ansatzweise zu artikulieren, was für eine Promotion verlangt wird. Es gibt keine Anforderungen. Wie soll man sie da kennen oder formulieren können?

Interessant, aber zu lange um sie hier wiederzugeben, sind die Zitatesammlung ab Seite 13 und die Klassifikation von Wissenschaftlern nach 5 Typen auf Seite 18. Den “Übergangswissenschaftler” finde ich am besten, der liegt mir am nächsten.

Einen heftigen Drall in Richtung Gewerkschaften merkt man der Studie freilich an. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn Auftraggeber ist die Gewerkschaft Ver.di. Was mal wieder zeigt, daß man sowieso keiner Studie trauen kann, weil es immer auf den Auftraggeber ankommt.

Das Kapitel 3 über die Arbeitszeiten kann man so sehen. Zitat:

Je geringer das Volumen der bezahlten Arbeit, desto höher ist die tatsächliche Arbeitszeit. Die Personen, die ganze Stellen inne haben, arbeiten durchschnittlich 45 bzw. 46 Stunden in der Woche, die mit Zwei-Drittel-Stellen 42 Stunden und die auf 20-Stunden-Stellen – den so genannten “halben Stellen” – arbeiten fast doppelt so viel, nämlich 37 bzw. 38 Stunden.

Was nicht ganz präzise ist, denn der zweite Satz widerspricht dem ersten. Es müßte eigentlich heißen “desto höher ist die Zahl der Überstunden oder die relative Arbeitszeit”. Wobei nach meinen Erfahrungen eigentlich eher der erste Satz richtig ist. Von den Chemikern waren mir damals Fälle bekannt, in denen Leute mit Drittel(!)-Stellen praktisch die ganze Zeit im Institut verbracht und teils sogar dort übernachtet haben. Auch bei den Informatikern war es so, daß Hiwis und Halbstellenmitarbeiter effektiv länger im Institut waren als der Professor. Mein damaliger Vorgesetzter Beth hat mich mal angeraunzt, weil ich einige Tage lang erst gegen 10 Uhr ins Institut kam – das war während meines regulären Urlaubs, den nich nicht bekam. Während Mitarbeiter oft bis abends um 22 oder 23 Uhr im Institut waren, kam er so am frühen Nachmittag mal rein, ging zwischendurch 2 Stunden in das (kostenlose) Uni-Hallenbad, und ging dann so zwischen 6 und 7 wieder. Dabei war er meist 2 oder 3 Tage die Woche gar nicht da, und es konnte auch durchaus mal passieren, daß man ihn monatelang – oder einmal fast ein Jahr – gar nicht sah. Oder hat schon mal jemand erlebt, daß ein Mitarbeiter ein Forschungssemester bekam?

Auf Seite 37 gibt es eine schöne Liste mit typischen Problemen von Mitarbeitern – die ich bestätigen kann. Und die zeigt, daß Universitäten so richtig lausig schlecht organisiert werden. Da funktioniert nahezu nichts. Warum eigentlich? Warum haben Forscher den Nimbus eines gewissen Chaos bekommen und warum wird es für normal gehalten, daß an den Universitäten Organisationsmangel herrscht? Warum ist das in den USA zwar nicht wirklich gut, aber doch sehr viel besser als bei uns organisiert? Warum kann man eine Universität nicht wie eine gute Firma führen, wenn man doch schon alles wie eine Firmenorganisation benennt (Vorstand, Aufsichtsrat, …) und Gehälter wie in der Industrie fordert? Warum muß man den Eindruck bekommen, daß eine Universität erst dann so richtig altehrwürdig wissenschaftlich ist, wenn dort überhaupt nichts funktioniert und keiner seinen Job beherrscht und richtig macht?

Richtig falsch ist dagegen die Angabe auf Seite 37, wonach 40 bis 50 Prozent der Arbeitszeit auf die Promotion oder andere Forschungsprojekte entfallen. Es ist schon unseriös, Leute nach geschätzten und nie gemessenen Anteilen zu fragen, dann den Mittelwert zu bilden und mit einer Stelle hinter dem Komma (40,5 bis 49,9 Prozent) so zu tun, als wäre das was genaues. Es entspricht aber auch nicht meinen Erfahrungen. Mir wurde damals explizit verboten, während der Arbeitszeit an der Promotion zu arbeiten, das sei Privatsache – obwohl es im Vertrag stand. Von den Chemikern wurde mir damals erzählt, daß es dort üblich sei, auf halben oder Drittel-Stellen zu schuften bis die Höchstgrenze erreicht ist, sich dann arbeitslos zu melden und dann auf ein noch kärglicheres Arbeitslosengelt zu promovieren. Wie die hier auf einen Anteil von fast 50 Prozent der Arbeitszeit für die Promotion kommen wollen, ist mir schleierhaft – oder es hat sich allerhand gebessert an der Uni.

Interessant wieder die Angaben zu Autorenschaften (Seite 38 f.), also wenn entweder dem Mitarbeiter seine eigene Autorenschaft verwehrt wird oder aber sich ein anderer mit reinsetzt ohne Autor gewesen zu sein (ob’s stimmt, muß man dann allerdings konsequenterweise auch hier fragen – solche Studien bergen immer die Gefahr, daß man die Zahlen, die einem gefallen, für seriös und korrekt hält, und die, die einem nicht gefallen, für offensichtlich fehlerhaft.). Allerdings können sich auch hier Abweichungen von meinen eigenen Beobachtungen dadurch ergeben, daß ich einen eingeschränkten Blick auf die Informatik habe, während die Studie wohl viele Fächer betrachtet. Und die Informatik gehört nun mal zu den schlimmsten Fächern was üble Machenschaften und Zustände angeht.

Seite 48: Die Rolle der direkten Vorgesetzten ist zweischneidig – zwar wird in der Mehrzahl der Fälle zu Beginn ein Gespräch über Arbeitsinhalte und Ziele geführt, jedoch gelingt es der Mehrheit der Vorgesetzten im Laufe der Einarbeitungszeit nur bedingt, ihren neuen Mitarbeitern/-innen ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung zu vermitteln. Was bleibt, ist Unsicherheit.

Dann kommt noch was zu Gewerkschaften und viel, viel Anhang.

Mmmh, naja. Nicht gerade weltbewegend. Wir machen halt ne Studie, stehen mal in der Presse, und in zwei Wochen ist wieder alles vergessen und begraben, wenn man es denn überhaupt je zur Kenntnis nehmen mußte. Viel Blabla, laue Statistiken, niemandem auf den Schlips treten, nur nichts klar aussprechen, alles nur hinter Zahlen andeuten, und – ganz wichtig – nur niemanden dadurch verprellen, daß hinter irgendeinem männlichen Substantiv der/die Schrägstrich/-in mit der Weiblichendung fehlen würde.

Die Studie leidet eindeutig darunter, daß sie an Universitäten entstanden ist. Aber ein paar interessante Tendenzen sind schon drin.