Ansichten eines Informatikers

“Wo bitte geht’s zu Gott?” fragte das kleine Ferkel

Hadmut
11.5.2009 23:44

Warum ich mir ein “Kinderbuch” gekauft habe. Eine Buchkritik.

Auf das Buch aufmerksam geworden bin ich durch die Diskussion um die Kinderpornographie. Irgendwo hatte ich gelesen, daß unser Bundesfamilienministerium dieses Buch als jugendgefährden indizieren und damit nur für Erwachsene zugänglich machen wollte. Angeblich hat die Prüfstelle dies aber abgelehnt. Ein Geruch von Zensur liegt in der Luft. Natürlich habe ich mir das Buch von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke gekauft.

Um es gleich zu sagen: Ich bin mir noch nicht sicher, was ich von dem Buch halten soll. Nun könnte der kritische Leser fragen, wieso ich eine Kritik schreibe, wenn ich mir noch nicht sicher bin, was ich davon halte? Erstens, weil man beim Schreiben die Gedanken ordnet. Zweitens weil ich Gründe dafür und dagegen gefunden habe, und der Leser ja selbst mal drüber nachdenken kann.

Das Buch erzählt mit Text und Zeichnungen im Stil eines Kinderbuches (denn ob es ein Kinderbuch oder nur wie eines ist, muß ich mir noch überlegen) eine kurze Geschichte über einen Igel und ein Ferkel, denen es uns gut geht und die viel Spaß haben. Da entdecken sie ein Schild “Wer GOTT nicht kennt, dem fehlt etwas!”. Igel und Ferkel sind erschrocken, denn sie kennen Gott nicht und haben Angst, daß ihnen nun irgendetwas fehlt. Also ziehen sie los um das mal aufzuklären. Aber die anderen Tiere wissen auch nicht, wer das sein soll. Erst der Fuchs weiß, daß es irgendwas mit streitenden Menschen zu tun hat und man da oben auf dem Tempelberg suchen müsse, wo es drei Häuser gebe. In einem davon würde der angeblich wohnen.

Zuerst kommen sie zu einem jüdischen Rabbie, der überspitzt, lächerlich, furchteinflößend gezeichnet ist. Gott sei nicht nett und könne ganz schön zornig werden, sagt der. Und erzählt mit fies-bösem Gesicht die Geschichte von der Sintflut. Gott habe sich so über die Menschen geärgert, daß er sie alle vernichtet hat. Babys, Omas, Ferkel. Alles bis auf ein Paar jeder Art. Das sei gemein, resümiert das Ferkel. Auf die Frage des Igels, warum Gott die Menschen ersäuft hat, die Antwort des Rabbi, daß die Menschen andere Götter angebetet hätten, die man sich aber nur eingebildet hätte und die es nicht wirklich gebe. Darauf wil das Ferkel wissen, woher man, wenn man sich Götter auch einbilden könne, wisse, daß dieser eine nicht auch eingebildet sei. Der Rabbi wird böse.

Sie gehen ins zweite Haus zu einem fetten Bischof. Der zeigt ihnen ein Holzkreuz, an das man einen halbnackten Mann mit spitzen Nägeln genagelt und ihm eine Dornenkrone aufgesetzt hatte. Alles voller Blut. Ferkel und Igel finden das ganz schrecklich. Und als die dann noch Oblaten essen und diese als das Fleisch Jesu ausgeben, meint das Ferkel bloß raus hier, das sind Menschenfresser.

Sie gehen in das dritte Haus zu einem Mufti, einem muslischen Gelehrten. Um Gott kennen zu lernen, sagt der, müssen man Muslim werden, fünfmal am Tag beten und sich dazu jedesmal waschen, also fünfunddreißig Mal die Woche. Und fragen, woher man denn wisse, daß der Prophet das nicht alles nur erfunden und sie alle auf den Arm genommen hat. Auch das gibt natürlich Ärger.

Rabbi, Bischof und Mufti bekommen sich darauf in die Wolle, wer die schlimmere Hölle hat, um die beiden darin zu braten. Ferkel und Igel gehen nach Hause und kommen zu dem Schluß, daß es ihnen ohne Gott viel besser geht, alles prima ist und sie keine Probleme haben. Alles Verrückte.

Im Prinzip ist das Buch völlig richtig. Die Überlegungen sind korrekt, und die Einwände, die Ferkel und Igel vortragen sind schlüssig, schlau und bringen einiges auf den Punkt. Was die Priester da vorbringen ist grauslich, auf Angst ausgelegt und in sich unlogisch und unglaubwürdig. Und damit wäre das eigentlich ein sehr gutes Lehrbuch für Kinder um sie zu lehren, nicht alles kritiklos zu glauben, sondern sich durchaus auch mal auf ihren Verstand zu stützen und etwas in Frage zu stellen. Und in gewisser Weise entlarvt sie die drei Religionen als grausliche Angstmache. Die Aussage, daß man Gott eigentlich nicht braucht, und daß es einem ohne ihn besser geht, kommt rüber. Mit Gott gibt es Blut, Strafen, Ersäufnis, Menschenfresserei, ohne Gott alles gut und Sonnenschein. Der Standpunkt ist nicht von der Hand zu weisen. Und ich war schon immer der Meinung, daß man gar nicht früh genug damit anfangen kann, Kindern eine altersentsprechende Kritikfähigkeit anzuerziehen. Und etwas ins Lächerliche zu ziehen ist das angemessene Gegenmittel gegen solche Angstmacherei.

Allerdings kommen mir Geschichte und Zeichnungen zu überdreht, zu übertrieben vor. Vielleicht braucht es das aber, um bei Kindern anzukommen. Ich weiß es nicht. Hätte ich es als Kind gehabt, hätte es mir vermutlich gefallen. Allerdings war ich auch kein “normales” Kind, sondern schon frühzeitig sehr kritisch. Habe mich oft mit Lehrern angelegt, besonders nachhaltig mit Religionslehrern, schon in der dritten Grundschulklasse, wäre aus dem Zwangs-Konfirmationsuntericht wegen meiner kritischen Fragen fast rausgeflogen und war an meiner Schule der erste, der aus dem Religionsunterricht ausgetreten ist (was mir den Neid der Mitschüler einbrachte, weil ich dann frei hatte). Das Buch wäre wohl zumindest der Kategorie nach nach meinem Geschmack gewesen.

Ich könnte mir aber vorstellen, daß das Buch viele Kinder auch überfordert. Denn sie müssen sich für das Buch schon damit auseinandersetzen, eine von Erwachsenen als zwingend aufgetischte Story aus eigener Kraft in Frage zu stellen und sich mit der Grauslichkeit von Blut, Ersaufen, Menschenfresserei geistig auseinanderzusetzen. Und das alles als leere Angstmacherei zu erkennen. Ich glaube nicht, daß jedes Kind das schafft. Man kann der Meinung sein, daß das Buch jüngere Kinder überfordert.

Nur: Die Konsequenz daraus kann nicht sein, das Buch zu verbieten.

Die Konsequenz daraus muß sein, Religionsunterricht für Kinder zu verbieten. Denn gerade dann, wenn man der Auffassung ist, daß es für Kinder zu früh oder zu schwierig ist, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen, darf man sie eigentlich auch nicht einseitig damit belasten und überrumpeln.

Wer der Meinung ist, daß ein Kind für ein solches Buch noch nicht reif genug ist, der darf es konsequenterweise auch keiner Religion ausetzen. Denn mit Religion und Angstmacherei bewußt in einem Alter einzuwirken, bevor die nötige Kritikfähigkeit eingesetzt hat, ist üble Menschenfängerei. Die Bibel und ihre Abkömmlinge ist eindeutig schlimmer und belastender als so ein Buch. Wer das Buch als für Kinder ungeeignet oder zu schwierig ansieht (ein Standpunkt, den ich durchaus akzeptieren kann), der müßte konsequenterweise Religion und die Bibel noch früher verbannen – und damit das Buch überflüssig machen.

Letztlich kommt dazu meine alte Auffassung wieder zum Tragen, daß es unverantwortlich und unvertretbar ist, Kinder in den Religionsunterricht zu stecken. Zuerst müßten sie die Schule mit Biologie, Physik, Chemie usw. beenden mit mittlerer Reife oder Abitur. Und dann können meinetwegen die Priester ankommen und gegenüber halbwegs eigenständigen Menschen ihre Religionen anzubieten und zu sehen, wen sie da überzeugen können. Ich glaube, das wären sehr wenige.

Es wurde wohl verschiedentlich kritisiert, daß das Buch antisemitisch sei, weil gerade der Rabbi am meisten überzeichnet sei. Naja. Also eigentlich kommen sie alle ungefähr gleich schlecht weg. Und mit langen gezwirbelten Locken laufen die halt nun einmal herum. Und ist ja eben auch so, daß da sehr viel mit Angstmacherei und schrecklichen Themen arbeiten. Da hängen eben gefolterte Leichen in den Kirchen, von denen sie dann auch noch symbolisch essen und deren Blut trinken. Würde man eine neue Religion einführen, in der man – wenn auch nur symbolisch – Menschenfleisch essen und Menschenblut trinken würde, würde man das als wüsten Kult verachten. Die Zeugen Jehovas waren auch schon da um mir vor der nächsten Sintflut Angst zu machen. Und wenn ich hier in München zum Einkaufen in die Stadt fahre, komme ich an einer Kreuzung an einem Traktor vorbei, an dem auch so ein Schild mit “Ohne Gott ist alles nichts” oder so ähnlich steht. Eigentlich ist nicht das Buch überdreht, sondern die Religion. Das Buch ist also eigentlich nicht überdrehter als die Religionsrealität, sondern eigentlich viel weniger. Wer das Buch verbietet, der muß erst einmal rechtfertigen, warum wir überhaupt Kinder mit diesem Religionszirkus unter Druck setzen.

Gefallen lassen muß sich das Buch aber den Vorwurf, eine humorlose Polemik zu sein. Zwar stellt das Buch einige richtige Fragen, aber die Art und Weise der Formulierung ist nicht schlau, nicht pfiffig, nicht clever, nicht pointiert, sondern selbst in der Struktur böswillig und kaum minder verbohrt. Es hinterläßt so einen schalen Nachgeschmack, als wollte jemand kein Kinderbuch schreiben, sondern das Kinderbuch nur als Vehikel verwenden, seine Abneigung gegen Religionen scharf auszudrücken. Ich habe großes Verständnis, daß man diese Abneigung hegt und sie ausdrückt. Aber ein Kinderbuch ist der falsche Ort. Ein Kinderbuch sollte in erster Linie ein Kinderbuch sein und bleiben. Und damit sollte man es tunlichst unterlassen, sich selbst auf die Ebene des boshaften Spotts herabzubegeben. Denn erstens ist das zumindest in dieser Form kein Qualitätsmerkmal. Zweitens überfordert es Kinder zusätzlich. Es entspricht auch nicht der Denkweise von Kindern. Und drittens sollte man Kindern zwar beibringen, kritisch zu hinterfragen und zu denken statt alles zu glauben. Aber nicht in dieser selbstzufriedenen überdrehten Weise. Gute Kinderbuchautoren sind die Autoren nicht.

Und letztlich muß man auch sagen, daß die Story ziemlich platt und letztlich auch dümmlich ist. Denn in der selbstgefälligen Art werden die drei Religionen zwar durchaus berechtigt in Frage gestellt, aber nichts daraus gemacht. Es bleibt nur ein “denen fehlt was im Kopf und uns geht’s so gut” übrig. So kann man fragende Kinder dann auch nicht stehen lassen. Das macht nur jemand, der auch nichts zu bieten hat.

Wenn schon, dann hätte man etwas dazu sagen müssen, wie die Religionen als ein Sammelsurium aus nützlichen, aber völlig areligiösen Verhaltensregeln (etwa zur Ernährung, zur Hygiene, zum Benehmen), Überlieferungsfehlern, Aberglauben, dem Wunsch nach einer möglichst einfachen Universalerklärung und aber auch üblem Machtmißbrauch und Menschenfang entstanden sind. Daß sich vieles von dem, was die Kirchen glaubten, als falsch herausgestellt hat und vieles einfach nicht stimmen kann. Die guten Fragen in dem Buch sind die, woher man wisse, daß man sich auch diesen einen Gott nicht einbildet, wenn man sich doch die anderen Götter auch nur einbildet, und woher man eigentlich wissen will, ob der Prophet sich das nicht nur ausgedacht und alle auf den Arm genommen hat. Wenn man Kindern das nicht als ergebnis-fertigen Überlegenheitsspruch hinklatscht sondern mit einem “Denk mal selbst drüber nach…”, dann hätte daraus ein gutes Kinderbuch werden können.

Und was man – vor allem mit Adresse an die fundamentalmuslimischen Eiferer – auch hätte betonen können, daß eine Religion sich solchen Fragen und selbst Karikaturen stellen muß. Daß die Religionen im Buch auf solche Fragen völlig erbost und gewaltsam reagieren, ist ja nun so realitätsfern auch wieder nicht.

Warum das Familienministerium dieses Buch aber indizieren lassen wollte, würde mich dann doch mal interessieren. Ein komischer Beigeschmack entsteht da schon. Denn in der Blogosphäre spukte ja schon das Gerücht herum, daß man in Hessen auch Glücksspiel im Internet blockieren wollte und von der Leyen interveniert hat, weil ihr Bruder an sowas verdient. Angeblich war ihr Großvater Pfarrer. Könnte es sein, daß man da wieder mal die Familieninteressen durchsetzen will?

Ein Kommentar (RSS-Feed)

Stefan
14.5.2009 4:40
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Es überrrascht mich, daß ich Deiner Analyse so viel abgewinnen kann. Zugegebenermaßen kenne ich das Buch nur von Besprechungen, aber immerhin von Leuten die Bücher von Berufs wegen besprechen, und denen man irgendwie angemerkt hat, daß sie selbst über ihre etwas schablonenhaftes Resümieren unglücklich waren. Man war sozusagen vorsichtig für das Buch, weil man gegen das Verbot war – quasi, und unfähig den eigenen Standpunkt differenziert darzustellen.