Ansichten eines Informatikers

Beweistechniken der Justiz

Hadmut
24.6.2008 12:33

Nachdem ich gerade selbst erst erlebt habe, wie leichtfertig, oberflächlich und tendenziös die Justiz sein kann, wenn sie für das Wunschurteil Beweise braucht, nicht hat und sie sich einfach macht, fallen mir natürlich auch solche Berichte auf.

Der SPIEGEL berichtet über dubiose Vorgehensweisen und die Annahme, daß ein Hund ein verlässlicher und objektiver Zeuge wäre, auch wenn man ihn – derzeit können Hunde nicht so wirklich gut sprechen – auch noch indirekt vernimmt, indem man sein (Amateur-)Herrchen seine Verhaltensweise “interpretieren” läßt. Hunde lügen nicht, glaubt man.

Ich hab nicht viel Erfahrung mit Hunden. Ich bin Laie. Ich hatte als Kind mal einen, einen lustigen, aufgeweckten, pfiffigen und sportlichen Yorkshire-Terrier. (Nein, nicht so einen blöden Briefbeschwerer-Schoßhund mit Schleifchen, da gibt’s auch ziemlich rauhe, Jagdhund-ähnliche und kämpferische Varianten.) Und wachsam war der auch. Es gab in der Wohngegend damals eine Serie von Wohnungseinbrüchen und man war besonders wachsam. Irgendwann war mal am frühen Abend ein Mann einfach so durch die Einfahrt in den Garten gelaufen und hatte sich da umgesehen. Bourbon (der Hund) schlug lautstark Alarm, machte uns auf den Mann aufmerksam und rannte, kaum war die Tür offen, lautstark bellend und zähnefletschend todesmutig auf den Mann zu. Obwohl der Hund ihm kaum über die Knöchel reichte und eigentlich hoffnungslos unterlegen war, bekam der Mann Angst vor dem Hund und wurde “gestellt”. Auf Frage meines Vaters, was er im Garten verloren habe, konnte er keine vernünftige Antwort geben. Der Hund wurde deshalb den ganzen Abend belohnt und mit Leckerchen überhäuft.

In den nächsten Tagen hat der Hund dann aber mehrfach falschen Alarm gegeben, lief dann laut bellend in den Garten, hupste dort herum, knurrte fiktive Personen an, die nicht da waren, um dann in die Küche zu rennen und dort erwartungsvoll um seine Belohnung zu betteln. Meines Erachtens hat der Hund in gewissem Sinne “gelogen”, oder jedenfalls den Ernst der Sache verkannt und das als lustiges Spiel aufgefasst, für das man nicht notwendigerweise einen Fremden braucht. Wir rennen raus, springen herum, bellen und knurren so böse wir können, fletschen die Zähne, Herrchen freut sich (der Hund freut sich auch, denn sowas macht einem Terrier sowieso Spaß) und es gibt Leckereien.

Könnte so ein mantrailer-Hund auch irgendwann mal zu der Auffassung kommen, daß er mehr gelobt und belohnt wird, wenn er was findet und daher zu seinem eigenen Vorteil positiv anschlägt?

Überhaupt finde ich die Vorgehensweise dubios. Denn es wurde nicht etwa der Tatort abgesucht und dann der vermeintliche Täter identifiziert. Sondern es wurde erst der Täter beschnüffelt (dem Hund also quasi suggestiv als Täter vorgegeben) und dann versucht, ob der Hund am Tatort anschlägt. Auch Hunde unterliegen Suggestionen. Und wer Hunde schon mal beobachtet hat, der weiß, daß auch Hunde sich mal irren oder sich unsicher sind, und sich dann oft spontan für einen Lösungsweg entscheiden. Hunde können nicht reden und ihnen Unsicherheit oder Zweifel anzusehen, bedarf einiger Erfahrung.

Ich habe mich schon immer gefragt, wie das eigentlich gehen soll, daß ein Hund die Fährte eines Menschen aufnimmt und noch nach Tagen nachverfolgen können sollte. Das wollte mir nie so ganz einleuchten. Zwar ist es sogar mir schon passiert, daß ich auch nach Stunden noch riechen konnte, daß jemand bestimmtes in einem Raum war, ich habe sogar nach über einem Jahr mal noch den Geruch einer bestimmten Person an Unterlagen deutlich wahrgenommen, die in einem versiegelten Kuvert gelegen hatten. Insofern geht da sogar mit dem qualitiativ beschränkten Riechkolben des Menschen etwas. Das hatte aber wohl etwas mit dessen Rasierwasser (oder möglicherweise auch einer Veränderung an dessen Schweißdrüsen) zu tun, und war damit gerade nicht eindeutig, sondern eben nur innerhalb meines Umfeldes. Wie ein Hund durch Schnüffeln in der Luft den Weg nachvollzieht, den ein Mensch gegangen ist, konnte mir nie richtig einleuchten. Laut diesem Artikel besagt die Theorie (die wissen es also auch nicht so genau) daß der Mensch wohl eine Spur von Hautschuppen hinter sich herzieht, die sich – ähnlich wie am Körper – bakteriell zersetzen und damit vermutlich wohl einen ähnlichen Duft erzeugen wie deren Urheber. Das erscheint mir ziemlich gewagt. Ich glaube einfach nicht, daß es soviel eindeutige und individuelle Komponenten daran gibt, daß der Hund den Duft trotz der vielen Varianten (andere Bakterien, Wetterbedingungen usw.) eindeutig einem bestimmten Menschen zuordnen und ihn als Täter auswählen kann.

Ich glaube zwar, daß ein Hund

  • den Geruch ihm gut bekannter Personen wiedererkennt, also beispielsweise die Strickjacke von Frauchen findet, denn hin und wieder kann ja sogar ich als Mensch (oder konnte, der Geruchssinn läßt mit der Zeit auch nach) Gegenstände einer mir bekannten Person zuordnen, das ist so schwer nicht. Es ist erwiesen, daß auch beim Menschen die Weibchen ihr Junges nach der Geburt am Geruch erkennen. Man hat das mit Läppchen getestet, bei dem Frauen nach der Geburt, obwohl sie noch kaum etwas mit ihrem Kind zu tun hatten, am Geruch mit verblüffend hoher Trefferquote das richtige Läppchen erkannten, mit dem gerade ihr Kind abgerieben wurde.
  • Und ich kann mir auch vorstellen (es geht ja bekanntlich) daß ein Hund am Tatort eine Fährte aufnehmen und den Weg finden kann, den eine Person gegangen ist. Ich kann auch riechen, wo Pommes Frites vorbeigetragen wurden, das heißt aber noch lange nicht, daß ich die Fett-Marke eindeutig erkennen kann. Es ist von der Aufgabenstellung etwas völlig anderes, ob ich dem Hund einen Anfangsgeruch vorgebe und ihn dann einfach dem “Faden” folgen lasse, oder ob ich dem Hund die Aufgabe stelle zu beantworten, ob diese Person mit dem Geruch am Tatort zusammengehört ist.

Ich habe also schon erhebliche Zweifel an der Fragestellung “War die gegebene Person X am Ort Y”.

Und genau da sehe ich die Gefahr, daß – wie im vom SPIEGEL beschriebenen Fall – Laien wissenschaftlich unsauber arbeiten. Da dürfte wohl die Sichtweise geherrscht haben, daß Hunde doch bekanntlich Personen wiedererkennen können. Wiedererkennen und eindeutig identifizieren sind unterschiedliche Dinge. Und eine Fährte nachzuverfolgen eine gänzlich andere.

Das erinnert mich an eine ebenfalls dubiose Ermittlungsmethode aus den USA, die dort jahrzehntelang als unfehlbar galt, bis man kürzlich dahinter gekommen ist, daß sie nichts taugt und daß man damit jede Menge Leute unschuldig hinter Gitter gebracht hat: Man war seit Jahrzehnten von der Überzeugung ausgegangen, daß jede Charge an Munition ihre höchst eigene, individuelle chemische Zusammensetzung hat, was das Blei im Geschoß angeht. Auch bei größter Präzision gebe es immer geringe Abweichungen und Toleranzen, weshalb jede Charge ihre eigene Zusammensetzung hat, wie ein Fingerabdruck. In den Fällen, in denen man ein Geschoß nicht mehr eindeutig einer Waffe zuordnen konnte, weil es zu sehr verformt war oder man die Waffe nicht hatte, bei dem Verdächtigen aber Patronen des gleichen Kalibers gefunden wurden (in USA nichts ungewöhnliches) untersuchte man, ob die Patronen des Verdächtigen die gleiche Zusammensetzung wie die Kugel hatten, die man etwa aus der Leiche gepult hatte. Wenn ja, galt derjenige als überführt, weil man es als ausgeschlossen ansah, daß derjenige zufällig Patronen aus der gleichen Charge gekauft haben könnte.

Erst kürzlich kam heraus, daß die Methode nichts taugt. Ich weiß nicht mehr, was genau der Grund war. Irgendwie hatte man völlig falsch eingeschätzt, für wieviele Patronen eine Bleilieferung verwendet wurde und außerdem waren da wohl die Hersteller des Rohmetalls doch soviel besser als gedacht, daß die eine so gleichbleibende Qualität liefern konnten, daß die Analyse wohl doch viel weniger unterscheiden konnte, als gedacht. Man hatte sie jedenfalls über längere Zeit hinweg als sicheren Beweis angesehen, ohne dies jemals näher untersucht und nachgewiesen zu haben.

Auch mit der DNA-Analyse ist Vorsicht geboten. Irgendwann habe ich mal von einem Fall gelesen, in dem man in den USA einen Mexikaner durch DNA-Analyse den Mord an einem Mädchen nachgewiesen zu haben glaubte. Erst kurz vor dessen Hinrichtigung fand jemand heraus, daß das Dorf, aus dem der stammte, schon seit mehreren hundert Jahren Inzucht trieb, die genetische Varianz extrem reduziert war und jeder andere Mann aus diesem Dorf mindestens genauso als Täter in Frage kam.

Im Prinzip sollte man sich als Informatiker mit solchen Fragestellungen durchaus befassen. Denn auch Logfiles, Festplattenscans und dergleichen werden längst als Nachweismittel für Straftaten herangezogen.

2 Kommentare (RSS-Feed)

yasar
24.6.2008 15:46
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Ad Hund:

Seit kurzem sind auch wir Hundebesitzer (Terriermischling) und die Beobachtung ist die, daß er durchaus auf Belohnungen reagiert und das tut, was aus seiner Sicht einer Belohung Wert wäre. Von daher sind solche Hundebeweise sehr mit Vorsicht zu genießen.

Ad wissenschaftlich erwiesenem Beweisverfahren: Fingerabdrücke sind, obwohl alle Welt davon ausgeht, daß es sehr, sehr, sehr, … unwahrscheinlich ist, daß zwei Menschen identische Fingerabdrücke haben, war es bis vor kurzem nicht wissenschaftlich untersucht, ob und wie wahrscheinlich es ist, daß Fingerabdrücke, insbesondere Fragmente davon, wie man sie an Tatorten findet, von der identischen oder von verschiedenen Personen stammen. Es gab sogar in den USA einen Freispruch deswegen. Inzwischen wissen wir ja, daß Fingerabdrücke am Tatort genau genommen keine Aussagekraft haben.


yasar
25.6.2008 17:57
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Nachtrag zu ad Hund:

Anfangs als wir ihn hatten, wollten wir ihm beibringen, daß wenn es draußen naß ist und wir wieder reinkommen, seine Pfoten abgewischt werden müssen (mit einem Handtuch).

Da er davon gar nicht begeistert war, haben wir ihm eine Belohnung nach dem Abwischen gegeben, die er Anfang immer vor dem Abwischen haben und wenn möglich das Abwischen vermeiden wollte.

Irgendwann hat er es aber geblickt und hat dann immer alle paar Minuten nach draußen gewollt (wir haben praktischerweise eine große Wiese hinterm Haus) und aber schnell wieder rein mit dem Programm Pfoten saubermachen und Leckerli abstauben und das Ganze nach ein paar Minuten von vorne.

Von daher ist es durchaus angebracht nachzudenken, was man damit überhaupt nachweist, wenn ein Hund anschlägt. Ob einfach nur sein Belohnung-haben-will”-Reflex angetriggert wurde oder wirklich etwas Aussagekräftiges dabei rauskommt.

Ad logfiles, festplattenscans & Co.:

Bestes Beispiel: IT-Dienstleister, der als Service auf Wunsch des Kunden immer ein Backup der Kundendaten anlegt, bevor er kritische Operationen am Gerät vornimmt (OS-Wechsel, OS-(Re)Installation, OS-Reparatur etc.), muß ganz genau überlegen wie er mit diesem Backup umgeht, insbesondere welchen Gefahren er sich selbst aussetzt, wenn er dies auf eigenen Festplatten (extern oder intern) oder USB-Sticks macht. Wie schnell ist da eine kompromittierende Datei, von der möglicherweise der Kunde selbst sogar gar nichts weiß auch beim IT-Dienstleister gelandet, die dann allerlei Unannehmlichkeiten verursachen kann. Je nachdem, an welchen Staatsanwalt und/oder Richter man gerät, kann das durchaus wehtun.