Ansichten eines Informatikers

Englische Kameraüberwachung: Pro und Contra

Hadmut
2.12.2007 0:14

Nun war ich einige Tage in England, dem Land in dem die Überwachungskameras förmlich auf Bäumen wachsen und in vielen Fällen gleich büschelweise installiert werden.

Grundsätzlich sollte man im Sicherheitsbereich nicht den Fehler begehen, sich zu emotional-ideologischen Bewertungen eines Sachverhaltes hinreißen zu lassen. Religiös-fanatische Sichtweisen sind unangebracht. Wie so oft hat die Sache zwei Seiten, die gegeneinander abzuwägen sind. Und wie so oft in unserem Kulturkreis begehen viele den Fehler, nur die eigene, bevorzugte Seite zu sehen und das für eine Abwägung zu halten. Das ist fatal. Denn wenn sie falsch liegen, merken sie es nicht. Und wenn sie richtig liegen, vergurken sie sich die Überzeugungskraft ihrer Argumentation. Selbst wenn sie im Ergebnis recht haben, spielen viele so dem Gegner durch unsachliche und einseitige Argumentation in die Hände – und erreichen das Gegenteil dessen, was gewollt ist. Um die Hintergründe (die andere Seite) zu sehen und Gründe zu erfahren, die man in der Zeitung nicht liest, lohnt es sich immer, mal vor Ort mit den Leuten mal ein Schwätzchen zu halten. Beispielsweise hab ich mal im Gespräch mit einm US-Immigration Officer, der gerade Feierabend machte, sehr viel mehr über die Abnahme von Fingerabdrücken bei der US-Einreise und die Gründe dafür erfahren, als jemals in einer deutschen Zeitung. Das heißt nicht, daß ich den Gründen zustimme. Aber ich weiß wenigstens, worüber ich mir eine Meinung bilde.

Pro Überwachungskamera:

Als ich an einem der Bahnhöfe eine Ecke mit 8 Überwachungskameras betrachtete, kam ich mit einem der Leute da ins Gespräch, der eine Bahn-Uniform anhatte. Keine Ahnung, was genau der war. Meine Mißbilligung dieser Kameraansammlung war mir wohl ins Gesicht geschrieben, er sprach mich gleich grinsend auf die Kameras an. Ich sagte ihm, daß ich sie aus Interesse betrachte, und daß ich darüber nicht gerade begeistert bin. Ich hätte da als Deutscher wohl eine etwas andere Sichtweise und würde meine Privatsphäre nicht nur zu Hause rumliegen lassen, sondern würde mich auch dann in meiner Privatsphäre verletzt fühlen, wenn mich beim Warten am Bahnhof, beim Bohren in der Nase oder sonstwie beim Kratzen an dummen Stellen gefilmt fühlte. In der Nähe umarmte sich gerade ein Pärchen zum Abschied, ich meinte, das gehöre nicht auf Video. Ja, sagte er, sie (die Mitarbeiter da) hätten sich am Anfang auch sehr unwohl und beobachtet bzw. kontrolliert gefühlt. Mittlerweile seien sie aber sehr froh über die Kameras. Sie müßten sich nämlich regelmäßig mit Besoffenen, Streitsuchenden, Taschendieben usw. befassen und die festnehmen oder rauswerfen. Leider sei das inzwischen so eine Standard-Masche, daß viele derer, die sie festnehmen oder rauswerfen, dann behaupten, sie seien geschlagen, mißhandelt oder sonstwie rechtswidrig behandelt worden. Durch so etwas könnten sie unglaublich viel Ärger bekommen. Es hat in letzter Zeit diverse Untersuchungen solcher Vorwürfe gegeben und in jedem Fall konnte man mittels der Aufzeichnungen zugunsten der Mitarbeiter beweisen, daß die Vorwürfe erfunden waren. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings auch nicht auf andere Orte verallgemeinerbar.

U-Bahn-Fahren in London kann eine flotte und angenehmen Sache sein. Das kann aber während der Hauptverkehrszeit zur Grusel-Show ausarten, wenn Züge und Stationen vor Menschen überquellen. In größeren Stückzahlen bewegt und verhält sich die Masse Mensch absolut widersinnig und geradezu dämlich-rücksichtslos. Es fällt mir immer wieder auf, wieviele Leute einfach so an der engsten Stelle im Weg rumstehen und überhaupt nicht mitbekommen, daß sie Wege blockieren. Es wird auch ständig angerempelt. Manchmal habe ich den Eindruck, daß das nicht nur Erziehungssache ist, sondern da vielleicht aus kulturellen Ursachen heraus sich andere Wahrnehmungen oder Bewertungen der dreidimensionalen Situationslage ergeben. So kommt es immer wieder vor, daß die Leute sich direkt vor den Treppen sammeln und drängen, aber den Bahnsteig nicht ausnutzen. Nicht ungefährlich so direkt neben der Stromschiene. Auch in den Zügen sind die Leute unfähig, sich gleichmäßig zu verteilen. Ich habe es mehrfach erlebt, daß da irgendwer über Lautsprecher Anweisungen geben mußte, wie die Leute sich wohin zu begeben haben. Auch in einem Zug bellte mal ein hörbar generverter Lokführer über die Lautsprecher, daß er die Schnauze voll davon habe, daß da einige Leute immer wieder die Abfahrt verzögern, weil sie zu nah an der Tür stehen und nicht kapieren, daß die Türen oben nach innen gewölbt sind oder sogar absichtlich die Türen offenhalten. Wenn das nicht aufhöre, schmeiße er jetzt gleich sämtliche Passagiere raus, lasse sie alle zu Fuß gehen und fahre mit leerem Zug an die Haltestelle um die aufzunehmen, die wegen der Verzögerungen länger warten müssen. Ich habe selbst bei mehreren Gelegenheiten beobachtet, daß vom traditionellen englischen Anstehen (außer bei Restaurants und Theatern) eigentlich nichts mehr übrig ist und gerade in den Massentransportmitteln alles rücksichtslos nach vorne drängt und sich mitten in den Weg pflanzt. Für die U-Bahn, die am Rande ihrer Kapazitäten arbeitet, ein ernsthaftes Problem. So gesehen ist schon die Dummheit und Trägheit großer Menschenmassen an sich ein Grund, der Überwachung und Lautsprecheranweisungen nötig macht. Es graut mir vor dem Gedanken, in einer U-Bahn-Station in einer solchen Menschenmasse zu stecken, wenn Feuer ausbricht oder es sonstwie zu Panik kommt. Die sind schon im Normalzustand unfähig, sich kontrolliert und vernünftig zu bewegen.

Ich habe mich sogar inzwischen selbst bei dem Gedanken ertappt, mir eine Sicherheitskamera herbeizuwünschen. Als ich im Zug nach Bletchley saß, war da einer im Abteil, der gezielt Krach suchte und schlägern wollte. Nur die zwei Frauen, die er dabei hatte, hielten ihn zurück, offenbar ein chronischer Fall, denn sie hörten sich nach routieniert an und als ob sie wüßten, was er für einer wäre. Der Typ war ziemlich groß, kräftig und extrem aggressiv und gewaltbereit (und vermutlich kampferfahren). Da merkte ich, wie ich plötzlich unwillkürlich nach einer Kamera Ausschau hielt, die den Typen mal aufnehmen könnte. Je nach Situation wünscht man sich die Dinger dann plötzlich. Ein älteres Paar, mit dem ich mich unterhielt, meinte, das gebe es leider immer öfter. Früher habe es das nicht gegeben. Und in der Tageszeitung war dann auch gleich ein Artikel über einen Fall, in dem ein Mann ein einem Omnibus ohne ersichtlichen Grund einen anderen spontan angegriffen und ihn schwer verletzt hatte. Man hatte ein Fahndungsfoto der Überwachungskamera, das den Angreifer beim Einsteigen zeigt.

Wir leben in einer Gesellschaft, die weit höhere Anforderungen an Gesundheit und Unverletztheit des eigenen Körpers und des Eigentums stellte, als etwa vor 100 Jahren. Wir rennen mit Notebook, Digitalkamera, MP3-Player usw. durch die Gegend und erwarten, daß der Staat und vor Raub schützt. Unsere Anforderungen an die persönliche Unversehrtheit sind viel, viel höhere als vor hundert oder zweihundert Jahren, als kein Hahn danach krähte, ob mal einer ausgeraubt oder zusammengeschlagen wird. Gleichzeitig verändern wir unsere Gesellschaft und bilden – besonders in den Hauptstädten wie London oder Berlin – unkontrollierbare Gemische aus Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, Mentalitäten und Religionen, die die Einhaltung unserer Normen nicht durch Erziehung gelernt haben. Wir wollen Sicherheit, brauchen aber gleichzeit Arbeitskräfte aus Ländern, in denen es eben üblich ist, sich gegen Beleidigungen und schräge Blicke gleich mindestens mit dem Messer zu wehren und für die Gewalt und Kriminalität einen ganz anderen Stellenwert als für uns haben.

Kontra Überwachungskameras

Zwar tritt durchaus ein gewisser Gewöhnungseffekt ein, man nimmt die Kameradichte nach ein paar Tagen nicht mehr als so offensiv wahr. Das Gefühl beobachtet zu werden bleibt jedoch. Man kann die Kamera leicht mit der Haltung und Gestik eines Menschen assoziieren, der einen blöde-provokativ anglotzt. Man stelle sich einfach die Situation vor, daß man zuhause irgendwas macht, kochen, bügeln, sonstwas, und ständig steht da einer rum, der einen aus nächster Nähe dabei wortlos und von oben herab anglotzt. Das geht einem ernsthaft auf die Nerven.

Man fühlt sich gelegentlich, der eine mehr, der andere weniger, in ein “Wohlverhalten” gezwungen. Es gibt irgendwelche Normen, was man tun und was man lassen sollte, die einem nicht einmal bekannt oder erkennbar sein müssen, die vielleicht nur im Auge des Betrachters und dessen kulturell-religiösen Hintergrund liegen, die man einzuhalten hat. Schlimmer noch: Man hält sich an Regeln, die es gar nicht gibt, nur weil man befürchtet, daß es vielleicht verboten sein könnte, X dabeizuhaben oder Y öffentlich zu tun.

Ich habe mich bei der Rückfahrt aus Bletchley dabei ertappt, daß ich am Bahnsteig stand und versuchte, mich lieb und unverdächtig zu verhalten und zu bewegen. Weil ich lange auf den Zug warten mußte war ich in Gedanken in einem Vortrag und war schon in den Formulierungen und der Gestik und Mimik, als mir durch den Kopf schoß, wie man das hinterher auslegen könnte. Gesetzt den Fall der Armleuchter, der morgens im Zug saß, würde wieder auftauchen und aus irgendwelchen Gründen Streit suchen und anfangen, und dann hinterher behaupten, er habe sich von mir provoziert oder beleidigt gefühlt, wie es mir der Bahn-Mensch (s.o.) als üblich geschildert hatte, und die fänden mich auf dem Tape gestikulierend und den Mund bewegend, wie sähe das aus? Also brav und gebügelt hinstellen, Gesichtszüge auf Null, Arme und Beine in Neutral-Stellung. Verdammt, was mach ich da!? Allein durch die Anwesenheit dieser Blechbüchsen mache ich mich zum Hampelmann irgendwelcher Normen und Erwartungshaltungen, die ich nicht mal kenne, geschweige denn gutheißen kann. Schon die Erfahrung der verdachtsunabhängigen Durchsuchung in der U-Bahn bringt mich dazu, die Folgen jedes auch noch so geringen Normverstoßes abzuwägen. Verdammt noch eins, sind diese Kameras gefährlich! Sie wirken ganz massiv, und sei es auch nur unterschwellig und unbewußt, auf das Verhalten auch der ehrlichen Bürger ein und zwingt uns in Norm-Verhalten. Big Brother is watching you. Schlimmer noch, eine Kamera-Attrappe hätte es auch getan.

Wißt Ihr, wovor mir noch mehr graust als vor diesen Überwachungskameras?

Vor der zukünftigen Generation von Menschen, die mit diesen Kameras aufgewachsen sind und es gar nicht mehr anders kennen, als ständig beobachtet, überwacht und durchsucht zu werden, und die das für den Normalzustand halten, sich dazu wie selbstverständlich normativen Vorgaben unterwerfen und diese kritiklos befolgen, nur um nicht als Normverstoß detektiert zu werden. Wenn es zur gesellschaftlich akzeptierten Norm wird, am Bahnsteig jegliche Bewegung oder Mimik zu unterlassen, die als anstößig angesehen werden könnte. Wenn Leute sich gleichmäßig und äquidistant über den Bahnsteig verteilen und neutral dastehen. Und das für normal halten.

Überwachungskameras beeinflussen das Verhalten. Das ist ja deren erklärter Zweck. Es gibt positive Aspekte, unbestreitbar. Aber es gibt auch sehr negative, die wir noch nicht kennen und nicht abschätzen können. Wenn wir es merken, könnte es zu spät sein.
Ich merke schon nach wenigen Tagen, wie Big Brother so ganz unterschwellig mein Verhalten verändert. Dabei bin ich gar keiner von den Kriminellen, von denen die Politiker immer sagen, daß sich die Kameras selbstverständlich nur gegen die richten.

Aber wie heißt es so schön (auch in England): Wer nichts zu verbergen hat, der habe auch nichts zu befürchten.

Das könnte sich als ganz schlimmer Irrtum erweisen. Vielleicht sollten wir uns davor fürchten, nichts mehr zu verbergen zu haben.

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