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Buchkritik “Fair prüfen”, Universität St. Gallen

Hadmut Danisch
3.11.2006 1:54

Ich beschäftige mich seit ein paar Jahren mit Prüfungsrecht. Eine Schweizer Professorin hatte mir deshalb das Buch “Fair prüfen” zur Lektüre empfohlen. Meine Buchkritik.

Christoph Metzger, Charlotte Nüesch
Fair prüfen
Ein Qualitätsleitfaden für Prüfende an Hochschulen
Hochschuldidaktische Schriften, Band 6
Institut für Wirtschaftspädagogik
Universität St. Gallen, Schweiz
Zu bestellen über http://www.iwp.unisg.ch

Um es vorweg zu nehmen: Viel Licht, viel Schatten.

Toll ist, daß sich im Hochschulbereich überhaupt mal jemand Gedanken darüber macht, wie Prüfungen zu gestalten sind. Hinter dem Buch steckt der Wille, vernünftige und sinnvolle Prüfungen zu machen und sie auch effektiv und für den Prüfling nützlich zu gestalten. Und das wird auch als geschlossenes Werk publiziert, damit andere auch etwas davon haben. Insofern sollte man jedem Hochschullehrer empfehlen, sich mit dem Thema zu befassen.

Allerdings fehlt in dem Buch ein ganz wichtiger, wenn nicht der wichtigste Aspekt fairen Prüfens: Das Prüfungsrecht. Liest man das Buch, kommt man an keiner Stelle auf die Idee, daß es so etwas wie Prüfungsrecht überhaupt geben könnte.

Das Prüfungsrecht ist, wie sollte es anders sein, in Deutschland besonders stark ausgeprägt. Das Buch dagegen ist aus der Schweiz. Aber auch da gibt es ein Prüfungsrecht, und es ist dem deutschen ähnlich. Schließlich beruhen beide nicht auf expliziter Gesetzgebung, sondern nur auf den Grundrechten der Berufsfreiheit und der Rechtswegsgarantie, die es in beiden Ländern gibt. In beiden Ländern bedarf eine berufsbezogene Hochschulprüfung einer gesetzlichen Grundlage. In beiden Ländern muß der Prüfer seine Bewertung begründen (in der Schweiz erst, wenn der Prüfling es verlangt), und in beiden Ländern kann sich der Prüfling vor Gericht gegen Falschbewertungen wehren. In beiden Ländern hat sich der Prüfer an Regeln und die Rechte des Prüflings zu halten. Daher sollte man auch bei einem auf Didaktik ausgerichteten Buch zum Thema “Fair prüfen” erwarten, daß dieses Thema angesprochen wird.

Das wird es aber nicht. Selbst in zentralen Abschnitten wie dem zur Gültigkeit und Validität einer Prüfung wird das Prüfungsrecht nicht erwähnt. Stattdessen heißt es nur lapidar

Eine Prüfung ist umso gültiger, je besser wirklich das geprüft wird, was gemäss den zugrundeliegenden Lernzielen auch geprüft werden soll.

Dieser Satz ist symptomatisch. Kann man “gültig” steigern? Eine Prüfung gilt oder sie gilt nicht. Es gibt da keine Abstufung. Oder? “Sie sind zwar durchgefallen, aber machen Sie sich nichts draus, es gilt ja nur zu 70%!” Sowas in der Art? Ob eine Prüfung gültig ist, ist eine Frage des Prüfungsrechts. Und woher die zugrundeliegenden Lernziele kommen, wird auch nicht erwähnt.

Generell wird in diesem Buch – typisch für das Selbstverständnis vieler Professoren – überhaupt nicht gefragt, was eine Prüfung überhaupt ist und woher die Befugnis zum Prüfen kommt. Es liegt nach der Denkweise des Buches einfach in der selbstverständlichen Natur eines Hochschullehrers, zu prüfen, und muß nicht erläutert werden. Eine Prüfungsordnung kommt da auch nicht vor. Konsequenterweise geht das Buch dann auch nicht mehr auf die Pflichten des Prüfers ein, sich über Gesetz, Anforderungen und Prüfungsordnung zu informieren.

Es gibt interessante und sehr wissenschaftliche Ausführungen dazu, wie ein Prüfer etwa die Bewertungsmaßstäbe und die Anforderungen festlegt. In Unkenntnis von Prüfungsrecht übersehen die Autoren, daß die Maßstäbe und Anforderungen in erster Linie nicht vom Prüfer, sondern vom Gesetzgeber festzulegen sind, und erste Aufgabe des Prüfers ist, sich darüber zu informieren. Denn nur der Gesetzgeber darf so erheblich in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingreifen. In der Schweizer Verfassung steht das ausdrücklich drin. Aber dazu müßte man freilich wissen, daß Prüfen ein rechtlich gebundener Vorgang ist.

Der Fehler wiederholt sich. So wird etwa bei der Prüfungseinsicht richtig festgestellt, daß jedem Prüfling Einsicht zu gewähren ist. Eine Erkenntnis, die sich etwa bei vielen deutschen Professoren noch nicht herumgesprochen hat. Als Zweck der Einsicht wird aber nur angegeben, daß der Prüfling sich doch zum eigenen Vorteil darüber informieren kann, welche Fehler er in der Prüfung gemacht hat, um sie künftig zu vermeiden. Fehler macht da nur der Prüfling.

Daß die Akteneinsicht aber hauptsächlich eine Folge der Rechtswegsgarantie ist, und sie dem ersten Zweck dient, Fehler des Prüfers und nicht des Prüflings festzustellen, damit der Prüfling sich dagegen wehren kann, kommt da nicht vor. Genausowenig, daß ein Prüfer seine Bewertung gerichtsvertbar begründen muß.

Das Buch leidet deshalb unter einem für die universitäre Arbeitsweise leider typischen Phänomen: Man nimmt sich eines Problems an und macht sich in bester Absicht subjektiv wissenschaftliche Gedanken, ohne sich dabei aber aus dem Elfenbeinturm herauszubewegen und die weltlichen Aspekte des betrachteten Problems zur Kenntnis zu nehmen. Ein Problem wird in aller Tiefe und theoretischen Weite durchleuchtet, aber das naheliegende und wichtige ignoriert. Und damit im Ergebnis das Thema verfehlt.

Nach schulischen Maßstäben gilt eine Arbeit, die das Thema verfehlt, als ungenügend und durchgefallen. So müßte man das Buch auf den ersten Blick auch bewerten, wenn es eine Prüfungsleistung wäre.

Das Prüfungsrecht besagt jedoch, daß auch Ersatzausführungen nach falscher Weichenstellung positiv gewertet werden müssen, gleiches wollen wir deshalb auch dem Buch zugestehen. Fatal aber, daß die Autoren gerade auf solche Themen wie Ersatzausführungen nach falscher Weichenstellung überhaupt nicht eingehen, und das offenbar auch nicht wissen. Denn Ersatzausführungen positiv zu werten ist nicht nur Prüferpflicht, es ist auch ein Gebot Fairen Prüfens, und hätte deshalb in einem Buch mit dem Titel “Fair prüfen” unbedingt erwähnt werden müssen.

Das Buch ist daher nur bedingt und nur für den zu empfehlen, der das Prüfungsrecht in Grundzügen kennt und weiß, daß das Buch nur einen Aspekt des Prüfens beleuchtet und Lücken aufweist.

Es zeigt aber wieder einmal, daß selbst die Hochschullehrer, die sich Mühe geben und glauben, gut prüfen zu können, nicht adäquat darüber orientiert sind, was sie tun. Man hätte sich freilich informieren können.